Zeitreise 1 – Besuch einer spätmittelalterlichen Stadt
als Buch, Independently published, 264 Seiten, 93 SW-Bilder, € 12,54, ISBN 978-1-5497-8302-9
und als E-Book
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Maria Antonia (oder Marie Antoinette) war das 15. Kind und die jüngste Tochter der Kaiserin Maria Theresia und ihres Gatten Franz Stephan von Lothringen. Sie wurde am 2. November 1755 geboren und starb in der Französischen Revolution am 16. Oktober 1793 unter der Guillotine.
Maria Antonia, die jüngste Tochter von Maria Theresia, die mit ihren blauen, übermütigen Augen und ihrem aschblonden Haar als ausgesprochen hübsch beschrieben wurde und die als anmutig, herzlich und gutmütig galt, wurde von ihren Eltern und Geschwistern, besonders ihrem ältesten Bruder Joseph II., sehr geliebt und verwöhnt. Sie galt wie ihr Bruder Ferdinand als vergnügungssüchtig und musikalisch, aber auch als flatterhaft, lebhaft und temperamentvoll, oberflächlich, arrogant, eigenwillig, trotzig, "hemmungslos aufrichtig", verspielt und, obwohl sie sehr intelligent war, als denkfaul. Sie ließ sich sehr schnell vom Lernen ablenken. Heute haben wir für diesen Charakterzug einen Begriff: Maria Antonia litt unter Aufmerksamkeitsdefizit oder Hyperaktivitätsstörung.
Bereits im Alter von zehn Jahren war Maria Antonia als eine zukünftige Braut im französischen Königshaus betrachtet worden. Sie wurde daher besonders im Tanzen, in der Musik, in der französischen Sprache und in der französischen Geschichte und Literatur unterrichtet.
"Mit Schrecken bemerkt eines Tages Maria Theresia, die sich bei der Fülle der Staatsgeschäfte nie um ein einzelnes Stück ihrer Kinderherde sorgfältig bekümmern konnte, daß die zukünftige Königin von Frankreich [Marie Antoinette] mit dreizehn Jahren weder Deutsch noch Französisch richtig zu schreiben versteht und nicht einmal mit den oberflächlichsten Kenntnissen in Geschichte und allgemeiner Bildung behaftet ist; mit den musikalischen Leistungen steht es nicht viel besser, obwohl kein Geringerer als [Christoph Willibald] Gluck ihr Klavierunterricht gab. In zwölfter Stunde soll jetzt das Versäumnis nachgeholt, die verspielte und faule Toinette zur gebildeten Dame herangezogen werden. Wichtig für eine zukünftige Königin von Frankreich ist vor allem, daß sie anständig tanzt und mit gutem Akzent Französisch spricht; zu diesem Zweck engagiert Maria Theresia eiligst den großen Tanzmeister Noverre und zwei Schauspieler einer in Wien gastierenden französischen Truppe, den einen für die Aussprache, den anderen für Gesang." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 15-16)
Ihr Lehrer und Erzieher aus Frankreich, Abbé Vermond, der sie für reizend und sympathisch hielt, stellte ihr am 21. Januar 1769 ein gutes Zeugnis aus: "Ich bin gewiß, daß unser Hof und die französische Nation entzückt sein werden von unserer zukünftigen Dauphine. Mit einer reizenden Gestalt vereinigt sie ein ungemein anziehendes Wesen, und wenn sie, wie man hoffen darf, noch etwas wächst, wird sie alle äußeren Vorzüge besitzen, die man einer hochgestellten Prinzessin nur wünschen kann. Ihr Charakter, ihr Herz sind ganz ausgezeichnet, und es fehlt ihr nur noch die Leichtigkeit des Ausdruckes, um jenes bewunderungswürdige Talent zu zeigen, welches ihre erhabene Mutter besitzt, den Leuten immer die verbindlichsten Dinge zu sagen." (in: Gerda und Gottfried Mraz: Maria Theresia - Ihr Leben und ihre Zeit in Bildern und Dokumenten, ebenda, S. 222). "Bedeutend vorsichtiger äußert sich jedoch der brave Abbé über die tatsächlichen Kenntnisse und die Lernfreude seiner Schülerin. Verspielt, unaufmerksam, ausgelassen, von einer quecksilberigen Munterkeit, hat die kleine Marie Antoinette trotz leichtester Auffassung nie die geringste Neigung gezeigt, sich mit irgendeinem ernsten Gegenstand zu beschäftigen. 'Sie hat mehr Verstand, als man lange bei ihr vermutet hat, doch leider ist dieser Verstand bis zum zwölften Jahr an keine Konzentration gewöhnt worden. Ein wenig Faulheit und viel Leichtfertigkeit haben mir den Unterricht bei ihr erschwert. Ich begann während sechs Wochen mit den Grundzügen der schönen Literatur, sie faßte gut auf, urteilte richtig, aber ich konnte sie nicht dazu bringen, tiefer in die Gegenstände einzudringen, obwohl ich fühlte, daß sie die Fähigkeiten dazu hätte. So sah ich schließlich ein, daß man sie nur erziehen kann, indem man sie gleichzeitig unterhält.'" (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 16-17)
Im Jahr 1769 war Maria Antonia bereits als Gattin des zukünftigen Königs Ludwig XVI. (1754-1793) vorgesehen. Am 19. April 1770 wurde sie per procurationem mit ihm - ihr Bruder Ferdinand war der Ersatzbräutigam - in der Augustinerkirche verheiratet. Die richtige Hochzeit fand am 16. Mai 1770 in Versailles statt. Aber damit eine Ehe eine richtige und unauflösbare Ehe wurde, musste sie körperlich vollzogen werden, und da gab es bei Ludwig XVI. und Marie Antoinette ein Problem. Durch Briefe von Marie Antoinettes Bruder Joseph II. an den Bruder Leopold II. wissen wir, dass Ludwig XVI. nicht an einer Phimose litt, wie noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein behauptet wurde, sondern dass er aus psychologischen Gründen die Ehe körperlich nicht vollziehen konnte. Eine Operation, vor der sich der Dauphin gefürchtet haben soll, war daher nicht nötig.
Maria Antoinettes Bruder Joseph II., der sich im Jahr 1777 wegen der sexuellen Probleme seiner Schwester und seines Schwagers für sechs Wochen in Versailles befand, schrieb seinem Bruder Leopold [II.]: "In the conjugal bed, here is the secret. He [Louis] has excellent erections, inserts his organ, remains there without stirring for perhaps two minutes, and then withdraws without ever discharging and, still erect, he bids his wife goodnight. It is incomprehensible ... he ought to be whipped, to made him ejaculate, as one whips donkeys!" "As for Marie-Antoinette, he wrote that she was not 'amorously inclined', and together they were 'a couple of awkward duffers!'" (in: Deborah Cadbury: The Lost King of France - The Tragic Story of Marie-Antoinette's Favourite Son, id., p. 17).
"Am 30. August [1777] ertönt endlich, endlich die Siegesfanfare; zum erstenmal nach ungezählten Niederlagen in diesem siebenjährigen Kriege des Eros hat der 'nonchalant mari' [Ludwig XVI.] die gar nicht verteidigte Festung erstürmt. 'Ich befinde mich im größten Glück für mein ganzes Leben', eilt Marie Antoinette der Mutter zu berichten: 'jetzt sind es schon acht Tage her, daß meine Ehe vollkommen vollzogen ist; der Versuch wurde erneuert und gestern noch vollständiger als das erste Mal. Ich dachte zuerst, sofort einen Kurier an meine teure Mutter abzusenden, aber ich bekam dann Angst, das würde zuviel Aufsehen und Geschwätz verursachen, auch wünschte ich, meiner Sache erst vollkommen sicher zu sein. Ich glaube noch nicht schwanger zu sein, aber ich habe jetzt wenigstens die Hoffnung, es von einem Augenblick zum andern werden zu können.' Lange bleibt diese glorreiche Wendung übrigens kein Geheimnis: der spanische Botschafter, der bestinformierte von allen, weiß seiner Regierung sogar das Datum des schicksalwendenden Tages (25. August) zu melden und fügt bei: 'Da ein solches Ereignis interessant und von öffentlicher Wichtigkeit ist, habe ich mit den Ministern Maurepas und Vergennes einzeln darüber gesprochen, und beide haben mir die gleichen Umstände bestätigt. Übrigens ist sicher, daß der König die Sache einer seiner Tanten erzählte und mit viel Freimut sagte: "Ich liebe sehr diese Art des Vergnügens und bedaure, sie so lange nicht gekannt zu haben." Seine Majestät ist jetzt viel heiterer als früher, und die Königin hat jetzt öfter, als man es bisher beobachtet hatte, umränderte Augen.' Der erste Jubel der jungen Frau über ihren tüchtigen Ehemann erweist sich übrigens noch als verfrüht, denn diesem 'neuen Vergnügen' geht Ludwig XVI. bei weitem nicht so eifrig nach wie der Jagd, und schon zehn Tage später muß Marie Antoinette der Mutter wieder klagen: 'Der König liebt es nicht, zu zweit zu schlafen. Ich versuche ihn zu bewegen, wenigstens nicht gänzlich auf diese Gemeinschaft Verzicht zu leisten. Manchmal verbringt er die Nacht bei mir, und ich glaube ihn nicht quälen zu dürfen, es öfter zu tun.'" (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 170-171). Schließlich konnte der französische Königshof am 4. August 1778 öffentlich verkünden, dass die Königin ein Kind erwarten würde, nachdem sie am 31. Juli um 22:30 Uhr die ersten Bewegungen ihres Kindes gespürt hatte.
Maria Antonia bzw. Marie Antoinette beschreibt ihren Tag als Dauphine: "Ich stehe um neuneinhalb oder um zehn Uhr auf, kleide mich an und sage mein Morgengebet. Dann frühstücke ich und gehe zu den Tanten [Marie Adelaide (1732-1800), Victoire Louise Marie Thérèse (1733-1799), Sophie Philippine Elisabeth Justine (1734-1782) und Louise Marie (1737-1787)], wo ich gewöhnlich den König [Ludwig XV.] treffe. Das währt bis zehneinhalb Uhr. Hierauf, um elf, gehe ich mich frisieren. Zu Mittag ruft man meinen Hofstaat, und da dürfen alle eintreten, außer Leuten ohne Rang und Namen. Ich lege Rot auf und wasche mir vor den Versammelten die Hände, dann entfernen sich die Männer, die Damen bleiben, und ich kleide mich vor ihnen an. Um zwölf ist Kirchgang. Ist der König in Versailles, so gehe ich mit ihm, meinem Gatten und den Tanten zur Messe. Ist er abwesend, so gehe ich allein mit dem Herrn Dauphin, aber immer zur selben Zeit. Nach der Messe essen wir öffentlich zu Mittag, aber das ist um einhalb zwei Uhr zu Ende, denn wir essen beide sehr rasch. Hierauf gehe ich zum Herrn Dauphin, und wenn er beschäftigt ist, kehre ich in mein Zimmer zurück, ich lese, schreibe oder arbeite, denn ich mache für den König einen Rock, mit dem es nur langsam vorwärtsgeht, aber ich hoffe, daß er mit Gottes Hilfe in einigen Jahren fertig sein wird. Um drei Uhr gehe ich wieder zu den Tanten, bei denen sich der König um diese Zeit einfindet; um vier Uhr kommt der Abbé zu mir, um fünf Uhr der Klavierlehrer oder der Gesangslehrer, bis sechs Uhr. Um einhalb sieben gehe ich fast immer zu den Tanten, wenn ich nicht spazierengehe. Du mußt wissen, daß mein Gatte fast immer mit mir zu den Tanten geht. Von sieben bis neun Uhr spielt man, aber wenn es schön ist, gehe ich spazieren, und dann findet das Spiel nicht bei mir, sondern bei den Tanten statt. Um neun Uhr speisen wir zu Abend, und wenn der König nicht da ist, essen die Tanten bei uns. Aber wenn der König anwesend ist, gehen wir nach dem Nachtessen zu ihnen. Wir erwarten den König, der gewöhnlich um dreiviertel elf Uhr kommt. Ich aber lege mich inzwischen auf ein großes Kanapee und schlafe bis zur Ankunft des Königs, aber wenn er nicht da ist, gehen wir um elf Uhr schlafen. So ist meine Tageseinteilung." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 52-53) .
Auch als Maria Antonia/Marie Antoinette verheiratet war und fernab in Frankreich lebte, war ihre Mutter, die Kaiserin Maria Theresia, über jeden Schritt von ihr durch ihre vielen Spitzel am französischen Königshof, z. B. den österreichischen Botschafter Flormont-Claude Mercy-Argenteau (1727-1754), genauestens informiert. So schrieb die Kaiserin ihm Folgendes: "Ich fürchte das Übermaß an Jugend bei meiner Tochter, das Zuviel an Schmeichelei um sie, ihre Trägheit und ihren mangelnden Sinn für ernste Tätigkeit, und ich beauftrage Sie, da ich Ihnen ganz vertraue, darüber zu wachen, daß sie nicht in schlechte Hände gerate." Durch ihn wusste die Kaiserin jedes Wort, was ihre Tochter sprach, jedes Buch, das sie las, jedes Kleid, das sie trug, wie Marie Antoinette ihre Tage verbrachte oder vertat, mit welchen Menschen sie sprach und welche Fehler sie machte. So schrieb ihr Spitzel ihr: "Ich habe mich dreier Personen aus dem Dienstpersonal der Erzherzogin [Marie Antoinette] versichert, ich lasse sie Tag für Tag durch Vermond beobachten, und ich weiß von der Marquise Durfort bis auf das letzte Wort, was sie mit ihren Tanten plaudert. Ich habe noch mehr Mittel und Wege, um zu erfahren, was sich beim König ereignet, wenn die Dauphine sich dort befindet. Dazu füge ich noch meine eigenen Beobachtungen, so daß es keine einzige Stunde des Tages gibt, von der ich nicht Rechnung legen könnte, was sie getan, gesagt oder gehört hat. Und ich dehne meine Nachforschungen immer nur so weit aus, als zur Beruhigung Eurer Majestät notwendig ist." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 55-56).
"Nach einem Vierteljahr Regierung ist die kleine Prinzessin schon zur Modepuppe der eleganten Welt aufgestiegen, zum Modell aller Kostüme und Frisuren, durch alle Salons, durch alle Höfe rauscht ihr Triumph." Und die ärgerliche Antwort ihrer Mutter folgte sogleich: "Du weißt, daß ich stets der Meinung war, man müsse die Moden maßvoll befolgen, aber sie niemals übertreiben. Eine junge hübsche Frau, eine Königin voll Anmut hat allen diesen Unsinn nicht nötig, im Gegenteil. Einfachheit der Kleidung steht ihr besser an und ist dem Rang einer Königin würdiger. Da sie den Ton angibt, wird sich die ganze Welt bemühen, ihr selbst auf ihren kleinen Fehltritten zu folgen. Aber ich, die ich meine kleine Königin liebe und sie Schritt für Schritt beobachte, darf nicht zögern, sie auf diese kleine Leichtfertigkeit aufmerksam zu machen." Aber es war nicht nur die Kleidung, sondern auch die Frisur, die für das Rokoko so charakteristisch wurde. "... so baut Herr Léonhard [der unerschöpfliche und unübertreffliche Figaro des Rokoko, Léonard Hautier] über der Stirn jeder Frau von Rang, die auf sich hält, ganze Türme von Haaren auf und modelliert das hochgesträubte Gebilde zu symbolischen Ornamenten. Mit riesigen Haarnadeln und kräftiger Verschwendung von starrer Pomade werden zunächst die Haare von der Wurzel her über der Stirn kerzengerade aufgebäumt, etwa doppelt so hoch wie eine preußische Grenadiermütze, dann erst im luftigen Raum, einen halben Meter über der Augenhöhe, beginnt das eigentliche plastische Reich des Künstlers. Nicht nur ganze Landschaften und Panoramen mit Früchten, Gärten, Häusern und Schiffen, mit bewegtem Meer, eine farbige Allerweltsschau wird auf diesen 'Poufs' oder 'Quäsacos' ... mit dem Kamm modelliert, sondern um die Mode recht abwechslungsreich zu machen, bilden diese Plastiken jederzeit das Geschehnis des Tages symbolisch nach ... Allmählich werden die Haartürme, dank massiger Unterlagen und künstlicher Strähnen, so hoch, daß die Damen damit nicht mehr in ihren Karossen sitzen können, sondern mit aufgehobenen Röcken knien müssen, sonst würde das kostbare Haargebäude an die Wagendecke stoßen; die Türrahmen im Schloß werden höher geschnitten, damit die Damen in großer Toilette sich nicht immer beim Durchschreiten zu bücken brauchen, die Decken in den Theaterlogen werden aufgewölbt." Und wieder reagiert die Kaiserin auf diese modische Unsitte in Frankreich: "Ich kann nicht umhin einen Punkt zu berühren, den ich in den Zeitungen so oft wiederholt finde, nämlich Deine Frisuren! Man sagt, daß sie von der Wurzel des Haares sechsunddreißig Zoll [= 91,44 cm] hoch sind und darüber noch Federn und Bänder haben." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 123-126).
Der erste öffentliche feierliche Einzug von Marie Antoinette in die französische Hauptstadt Paris geschah am 8. Juni 1773: "Die ganze Straße von Versailles nach Paris verwandelt sich in eine einzige, brausende, hüteschwenkende, von Fahnen und Blumengewinden farbig durchflochtene Menschenhecke." Marie Antoinette schrieb ihrer Mutter über dieses besondere Ereignis: "Letzten Dienstag habe ich ein Fest erlebt, das ich nie in meinem Leben vergessen werde: unsern Einzug in Paris. An Ehrungen haben wir alle empfangen, die man sich nur ausdenken kann, aber dies war es nicht, was mich am tiefsten ergriffen hat, sondern die Zärtlichkeit und Leidenschaft des armen Volkes [Frankreich hatte 20 Millionen Untertanen], das trotz der Steuern, mit denen es bedrückt ist, von Freude durchdrungen war, uns zu sehen. Im Tuileriengarten war eine so ungeheure Menge, daß wir drei Viertelstunden weder vor- noch rückwärts konnten, und auf dem Rückweg von diesem Spaziergang sind wir dann noch eine halbe Stunde auf einer offenen Terrasse geblieben. Ich kann Dir, meine teure Mutter, nicht die Ausbrüche der Liebe und Freude schildern, die man uns in diesem Augenblick bezeugte. Ehe wir uns zurückzogen, haben wir noch mit der Hand das Volk begrüßt, das darob große Freude hatte. Wie glücklich ist man doch in unserem Stand, daß man die Freundschaft so leicht gewinnen kann. Und doch gibt es nichts Kostbareres, ich habe das wohl gefühlt und werde das nie vergessen." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 81-83). Aber obwohl sie sich so über die Liebe ihres Volkes gefreut hatte, betrat sie als Königin nie ein bürgerliches Haus oder besuchte ein Hospital oder einen Markt. Nicht ein einziges Mal versuchte sie, etwas von dem täglichen und z. T. sehr schweren, entbehrungsreichen Leben ihrer Untertanen zu erfahren. Sie verbrachte ihre Zeit lieber in der Oper, beim Theater, auf Maskenbällen und in Spielsälen.
Marie Antoinette war sehr verschwendungssüchtig. Besonders liebte sie teuren Schmuck. Ihre Mutter mahnte sie immer wieder, endlich bescheidener zu werden: "Alle Nachrichten aus Paris stimmen darin überein, daß Du abermals Dir Braceletts für zweihundertfünfzigtausend Livres gekauft und damit Deine Einkünfte in Unordnung und Dich in Schulden gebracht hast und daß Du sogar, um dem zu steuern, um einen geringen Preis Deine Diamanten verkaufst ... Solche Mitteilungen zerreißen mein Herz, insbesondere wenn ich an die Zukunft denke. Wann wirst Du Du selbst werden? ... Eine Herrscherin erniedrigt sich, wenn sie sich so herausputzt, und sie erniedrigt sich noch mehr, wenn sie gerade in einer solchen Zeit [es herrscht Hungersnot und große Armut in Frankreich] es bis zu solchen Ausgaben treibt. Ich kenne nur zu sehr diesen Geist der Verschwendung und kann nicht darüber schweigen, weil ich Dich um Deinetwillen liebe und nicht um Dir zu schmeicheln. Gib acht, nicht durch solche Frivolitäten das Ansehn zu verlieren, das Du im Anfang der Regierung gewonnen hast. Man weiß allgemein, daß der König sehr bescheiden ist, so fiele alle Schuld einzig auf Dich. Eine solche Veränderung, einen solchen Umsturz wünsche ich nicht zu erleben." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 127).
Maria Antonia oder, wie sie in Frankreich genannt wurde, Marie Antoinette besaß zwei sehr gute Freundinnen, Gabrielle de Polastron (1749-1793), die Herzogin von Polignac, und Marie-Thérèse von Savoyen-Carignon (1749-1792), die Fürstin von Lamballe, die stets an ihrer Seite zu finden waren, und einen sehr guten Freund, Hans Axel von Fersen (1755-1810), auf den sie sich stets verlassen konnte und der alles für sie getan hätte.
Ermahnungen von Maria Theresia an ihre jüngste Tochter Maria Antonia (oder Marie Antoinette) in Frankreich: "... Wenn Du am Morgen aufwachst, stehe gleich auf, bete auf den Knien Deine Morgengebete und lese etwas aus einem geistlichen Buch; wenn das alles auch nicht länger als eine kurze Viertelstunde dauert, so tue es doch, ohne Dich vorher mit irgendetwas beschäftigt oder mit jemand gesprochen zu haben. ... teile mir stets mit, welches Buch Du benutzt ... Ich bitte Dich inständigst, meine Tochter, kein Buch, nicht einmal eine Broschüre, ohne den Rat Deines Beichtvaters zu lesen; ich verlange von Dir, meine liebe Tochter, diesen wahrhaftigsten Beweis zärtlicher Liebe und Gehorsams für die Ratschläge einer guten Mutter, die nur Dein Glück und Dein Seelenheil im Auge hat. ... zu Beginn eines jeden Monats werde ich von hier einen Kurier nach Paris schicken; inzwischen kannst Du Deine Briefe vorbereiten, um sie dann gleich nach Ankunft des Kuriers abzusenden ... vernichte meine Briefe, das wird mich instandsetzen, Dir offenherziger zu schreiben; ich werde dasselbe mit den Deinigen tun." (in: Peter Berglar: Maria Theresia, ebenda, S. 109-110).
Maria Theresia an ihre Tochter in Paris am 1. November 1770: "... da sie [die Gräfin Windischgrätz] sich nicht weigern konnte, meine Fragen wahrheitsgetreu zu beantworten, hat sie mir zugestanden, daß Du Dich recht, sogar in der Sauberkeit der Zähne, vernachlässigst. Das ist ein Hauptpunkt, ebenso wie die Figur, die sie auch verschlechtert fand. Du bist jetzt in dem Alter, wo Du Dich formst; ... wie man im Deutschen sagt: 'auseindergehen, schon die Taille wie eine Frau, ohne es zu sein.'" Am 2. Dezember 1770 lesen wir: "... das Reiten. Du hast sehr recht mit Deiner Annahme, daß ich es Dir mit fünfzehn Jahren niemals gestattet hätte ... das Reiten verdirbt den Teint und auch Deine Taille wird es spüren und noch stärker hervortreten. Ich gestehe, wenn Du im Herrensitz reitest, woran ich nicht zweifle, so finde ich das sogar gefährlich und schlecht zum Kinderkriegen." Am 8. Mai 1771 schrieb sie ihrer Tochter: "Du hast Dir so rasch die allgemeine Zuneigung erworben! Setze sie nicht aufs Spiel, indem Du das vernachlässigst, was Dir dazu verholfen hat: nämlich nicht Deine Schönheit, die tatsächlich nicht so bemerkenswert ist, noch Deine Talente oder Deine Kenntnisse (Du weißt recht gut, daß das alles nicht existiert), sondern Deine Herzensgüte, Deine Freimütigkeit, diese mit so richtigem Urteil erwiesenen Aufmerksamkeiten ..." Und am 30. Juli 1775 fühlte Maria Theresia sich verpflichtet, Folgendes an ihre Tochter zu schreiben: "Dein Glück könnte sich nur zu sehr ändern, und Du könntest Dich durch eigene Schuld in das größte Unglück stürzen. Das ist die Folge dieser schrecklichen Vergnügungssucht ... Eines Tages wirst Du das erkennen, aber dann wird es zu spät sein." (in: Gerda und Gottfried Mraz: Maria Theresia - Ihr Leben und ihre Zeit in Bildern und Dokumenten, ebenda, S. 228).
"Sie [Marie Antoinette] kann bezaubernd lächeln, auf eine wunderbar unverbindliche Art freundlich sein, sie weiß, wie ihre autokratische Mutter, wie ihre Brüder, wie fast alle Habsburger ... bei innerlich unerschütterlichem Hochmut gerade mit den geringsten Leuten auf die natürlichste Weise höflich und zutunlich zu sein, ohne deshalb herablassend zu wirken." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 306-307).
Marie Antoinette und ihr Gatte Ludwig XVI. waren, was ihre Persönlichkeit betraf, sehr verschieden: "Er schwer, sie leicht, er plump, sie biegsam, er stockig, sie moussierend, er nervenstumpf, sie flackerig-nervös ... er unentschlossen, sie zu rasch entschlossen, er langsam überlegend, sie spontan in Ja und Nein, er strenggläubig bigott, sie selig weltverliebt, er bescheiden demütig, sie kokett selbstbewußt, er pedantisch, sie fahrig, er sparsam, sie verschwenderisch, er überernst, sie unmäßig verspielt, er Tiefgänger mit schwerem Flutgang, sie Schaum und Wellentanz. Er fühlt sich allein am wohlsten, sie in lauter lärmender Gesellschaft, er liebt mit animalisch dumpfen Behagen viel zu essen und schweren Wein zu trinken, sie rührt Wein nie an, ißt wenig und flink. Sein Element ist der Schlaf, das ihre der Tanz, seine Welt der Tag, die ihre die Nacht ..." Aber sie führten eine gute Ehe: "Denn er [Ludwig XVI.] läßt sie schalten und walten nach ihrer Laune, zieht sich zartfühlend zurück, wo er sich nicht erwünscht fühlt, betritt nie unangemeldet ihr Zimmer, ein idealer Gatte, der trotz seiner Sparsamkeit ihre Schulden immer wieder zahlt ..." Nur wie ihr ältester Bruder Joseph II. nach seinem Besuch bei ihr in Paris verkündet: "Liebe hat sie gar keine für ihn". (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 108-111).
"Wenn sie [Marie Antoinette] sich aufrecht hält", schreibt ganz trunken der sonst kühle Engländer Horace Walpole, "ist sie die Statue der Schönheit, wenn sie sich bewegt, die Grazie in Person." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 106).
Videotipps:
Eine Rokokodame zieht sich an
Theatre of Marie-Antoinette at Versailles
Private Chambers of Marie-Antoinette at Versailles
Marie-Antoinette at Le Petit Trianon
Hameau de Marie-Antoinette
Marie-Antoinette's Hamlet
Aus ihrer Ehe mit Ludwig XVI. gingen schließlich vier Kinder hervor: 1. Marie-Thérèse, geboren am 19. Dezember 1778, gestorben am 19. Oktober 1851; 2. Louis-Joseph, geboren am 22. Oktober 1781, gestorben am 4. Juni 1789; 3. Louis-Charles, geboren am 27. März 1785, gestorben am 8. Juni 1795; 4. Sophie-Hélène, geboren am 9. Juli 1786, gestorben am 19. Juni 1787.
ihrer Tochter Marie-Thérèse (1778-1851), ihrem Sohn Louis-Joseph (1781-1789) und ihrem Sohn Louis-Charles (1785-1795). Die leere Wiege deutet vermutlich daraufhin, dass Maria Antonia bereits wieder schwanger ist und ein weiteres Kind, nämlich ihre Tochter Sophie-Hélène (1786-1787), erwartet. Falls dieses Gemälde, durch eine zeitgenössische Quelle bewiesen, tatsächlich im Jahr 1787 beendet wurde, fügte die Malerin zu diesem Zeitpunkt nur noch die Wiege als Symbol für das vierte Kind der Königin hinzu. Wie das Alter der übrigen drei Kinder nämlich zeigt, kann dieses Gemälde (mit Ausnahme vielleicht der Wiege) nur im Jahr 1786 erstellt worden sein.
"In einem Königsschlosse geboren, im Gottesgnadentum erzogen, von ihren Herrscherrechten als einer göttlichen Gegebenheit überzeugt, betrachtete sie [Marie Antoinette] von vornherein jeden Rechtsanspruch der Nation als eine ungebührliche Auflehnung des Pöbels: immer ist derjenige, der für sich selbst alle Freiheiten und jedes Recht beansprucht, am wenigsten geneigt, sie auch andern zuzubilligen ... Ihr Platz oben, der des Volkes unten; sie will nicht hinab, das Volk darf nicht empor. Vom Sturm der Bastille [am 14. Juli 1789] bis zum Schafott [am 16. Oktober 1793] fühlt sie sich jede Sekunde unerschütterlich im Recht. ... sie hat nichts gemerkt und nichts verstanden von den großen humanen Errungenschaften einer Bewegung, welche uns die großartigsten Grundsätze menschlicher Beziehungen überliefert hat: die Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Gewerbefreiheit, Versammlungsfreiheit, welche die Gleichheit der Klassen, Rassen und Konfessionen als erste in die Gesetzestafel der Neuzeit eingegraben und die schmachvollen Reste des Mittelalters, Folter, Fron und Sklaverei, aufgehoben hat, niemals hat sie nur das geringste von diesen geistigen Zielen hinter dem brutalen Tumult der Straße verstanden oder zu verstehen gesucht." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 269/271-272).
Videotipp: Der Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792
Das Leben der königlichen Familie in den Tuilerien von Oktober 1789 bis August 1792: "Nach dem Frühstück läßt die Königin [Marie Antoinette] die Kinder zu sich herunterbringen, dann geht sie in die Messe und bleibt in ihrem Zimmer allein bis zum gemeinsamen Mittagessen. Nachher spielt sie mit dem Gatten eine Partie Billard, für ihn ein schwacher gymnastischer Ersatz der ungern entbehrten Jagd. Dann zieht sich Marie Antoinette, während der König liest oder schläft, abermals in ihre Räume zurück, um mit vertrauten Freunden, mit Fersen, der Prinzessin Lamballe oder anderen, Rat zu halten. Nach dem Abendessen versammelt sich im großen Salon die ganze Familie: der Bruder des Königs, der Graf von Provence, mit seiner Frau, die das Luxembourg-palais bewohnen, die alten Tanten und einige wenige Getreue. Um elf erlöschen die Lichter, der König und die Königin begeben sich in ihre Schlafgemächer. Diese stille, geregelte kleinbürgerliche Tageseinteilung kennt keine Abwechslung, keine Feste und keinerlei Pomp." Das Einzige, was Marie Antoinette noch glücklich macht, sind ihre Kinder: "Wenn ich überhaupt noch glücklich sein könnte, so wäre es durch meine beiden Kinder [ihre Tochter Marie-Thérèse und ihren Sohn Louis-Charles] ... Wenn ich sehr traurig bin, nehme ich meinen kleinen Jungen her ... Ich bin den ganzen Tag allein, und meine Kinder sind mein einziger Trost. Ich habe sie soviel als möglich um mich." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 328/344).
Das Leben der königlichen Familie im Temple von August 1792 bis Januar 1793, berichtet aus zwei historischen Sekundärquellen: 1. "Morgens läßt Marie Antoinette ihre Kinder kommen und unterrichtet sie oder spielt mit ihnen, mittags wird gemeinsam gegessen, nach Tisch eine Partie Tricktrack oder Schach gespielt. Während dann der König den Dauphin im Garten spazierenführt und mit ihm Drachen steigen läßt, befaßt sich die Königin, die zu stolz ist, um unter Bewachung öffentlich zu promenieren, meist in ihrem Zimmer mit Handarbeiten. Abends bringt sie selbst die Kinder zu Bett, man plaudert noch ein wenig oder spielt Karten, manchmal versucht sie auf dem Clavecin zu spielen, wie in früheren Tagen, oder ein wenig zu singen ... Sie spricht wenig und ist am liebsten bei den Kindern oder allein." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 451-452). 2. "The family usually had breakfast together at nine, after which the king gave the Dauphin his lessons. 'His father taught him to recite passages from Corneille and Racine, gave him lessons in geography, and taught him to colour maps,' wrote Cléry [der persönliche, treue Diener des Königspaares], who was impressed by the young Dauphin's memory. 'The precocious intelligence of the young prince responded perfectly to the attentions of his father.' The queen, meanwhile, gave lessons to her daughter, and in the late morning they would all go into the Temple compound, where they were permitted to walk along the avenue of horse chestnut trees. 'I made the prince play either at quoits or football, or running, or other games of exercise,' said Cléry. In the afternoons, after the customary search of their rooms, they would play piquet or backgammon, or join Louis-Charles in ball games or shuttlecock. After the supper the queen would hear the Dauphin's prayers. 'He said one especially for the Princesse de Lamballe and another to protect the life of Madame de Tourzel [seiner Erzieherin, die wie Madame de Lamballe gefangen genommen worden war, aber letztendlich am Leben blieb],' wrote Cléry." (in: Deborah Cadbury: The Lost King of France - The Tragic Story of Marie-Antoinette's Favourite Son, id., p. 79)
Man hatte Marie Antoinette von ihren Kindern, ihrer Tochter Marie-Thérèse und ihrem Sohn Louis-Charles, im Juli 1793 getrennt. Diese gewaltsame und unnötig grausame Trennung von ihrem geliebten Sohn Louis-Charles war mit Sicherheit der schwerste Augenblick in ihrem Leben. Nur die Tochter sollte die französische Revolution überleben. Louis-Charles, der nach der Hinrichtung seiner Eltern dem brutalen, stets betrunkenen und sehr jähzornigen Schuster Antoine Simon zur Erziehung übergeben worden war, blieb nach dessen eigenen Hinrichtung unter der Guillotine am 28. September 1794 ganz allein auf sich gestellt in einer dunklen Kammer im Temple-Gefängnis, die wie er selbst nie gesäubert wurde. Es soll deshalb dort fürchterlich gestunken haben. Hier starb der achtjährige Prinz, von der Krätze entstellt und sich den Tod wünschend, am 8. Juni 1795 vermutlich an der Tuberkulose.
Den Tod von Marie Antoinette unter der Guillotine wünschten besonders zwei Männer, der Führer der Ultrarevolutionären Jacques Réne Hébert (1757-1794) und der Führer der revolutionären Jakobiner Maximilien Robespierre (1758-1794), die auch in ihrer Hetzkampagne gegen die Königin vor Lügen nicht zurückschreckten. Letztlich starben beide ebenfalls unter der Guillotine, Hébert am 24. März 1794 und Robespierre am 28. Juli 1794.
Marie Antoinettes Abschiedsbrief an ihre Schwägerin Elisabeth von Frankreich, geschrieben am Tage ihrer Hinrichtung am 16. Oktober 1793, den Letztere nie erhalten sollte und der erst 21 Jahre später wieder auftauchte: "Dir, liebe Schwester, schreibe ich zum letztenmal. Ich wurde soeben verurteilt, nicht zu einem schmachvollen Tod, der nur für Verbrecher gilt, sondern dazu, Deinen Bruder wiederzufinden. Unschuldig wie er, hoffe ich ihm in seinen letzten Augenblicken zu gleichen. Ich bin ruhig, wie man es ist, wenn das Gewissen dem Menschen keine Vorwürfe macht. Ich bedaure tief, meine armen Kinder zu verlassen. Du weißt, ich habe nur für sie gelebt und für Dich, meine gute zärtliche Schwester, Du, die Du aus Freundschaft alles geopfert hast, um bei uns zu bleiben - in welcher Lage lasse ich Dich zurück! Durch das Plädoyer des Prozesses habe ich erfahren, daß meine Tochter von Dir getrennt worden ist. Ach, die arme Kleine! Ich wage es nicht, ihr zu schreiben, sie würde meinen Brief nicht erhalten - weiß ich doch nicht einmal, ob dieser hier Dich erreichen wird. Empfange für sie beide hierdurch meinen Segen. Ich hoffe, daß sie später einmal, wenn sie größer sind, sich mit Dir vereinigen und ganz Deine zärtliche Sorgfalt genießen können. Mögen sie beide an das denken, was ich sie unablässig gelehrt habe: daß die Grundsätze und die genaue Befolgung der eigenen Pflichten das wichtigste Fundament des Lebens sind, daß die Freundschaft und das Vertrauen, das sie einander entgegenbringen werden, sie glücklich machen wird. Möge meine Tochter, als die ältere, fühlen, daß sie ihrem Bruder immer beistehen müsse mit Ratschlägen, die größere Erfahrung und ihre Freundschaft ihr eingeben werden. Möge mein Sohn hinwieder seiner Schwester alle Fürsorge und alle Dienste erweisen, die sich aus der Freundschaft ergeben. Mögen sie endlich beide fühlen, daß sie in jeder Lage des Lebens nur durch ihre Eintracht wirklich glücklich sein werden. Mögen sie sich uns zum Beispiel nehmen! Wieviel Tröstung hat uns unsere Freundschaft in unseren Leiden verschafft! Und das Glück genießt man doppelt, wenn man es mit einem Freunde teilen kann. Wo aber kann man einen zärtlicheren, innigeren Freund finden als in der eigenen Familie? Möge mein Sohn niemals die letzten Worte seines Vaters vergessen, die ich ihm mit Vorbedacht wiederhole: Möge er niemals danach trachten, unseren Tod zu rächen! ... Ich bitte alle, die ich kenne, und im besonderen Dich, liebe Schwester, um Verzeihung für jedes Leid, das ich ihnen unwissentlich etwa zugefügt habe. Ich verzeihe all meinen Feinden alles Böse, das ich durch sie erlitten habe. Ich sage hiermit den Tanten und all meinen Brüdern und Schwestern Lebewohl. Ich hatte Freunde. Der Gedanke, daß ich von ihnen für immer getrennt bin, und das Bewußtsein ihres Schmerzes gehören zu den größten Leiden, die ich sterbend mit mir nehme. Mögen sie wenigstens wissen, daß ich bis zu meinem letzten Augenblick an sie gedacht habe. Leb wohl, gute zärtliche Schwester! Möge dieser Brief Dich erreichen! Vergiß mich nicht! Ich umarme Dich von ganzem Herzen sowie die armen lieben Kinder! Mein Gott, wie herzzerreißend ist es doch, sie für immer zu verlassen! Leb wohl, leb wohl! Ich werde mich nun nur noch mit meinen geistlichen Pflichten befassen. ..." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 542-545).
Die Hinrichtung von Marie Antoinette am 16. Oktober 1793: "Als um zehn Uhr der Scharfrichter Samson [falsch: der Scharfrichter hieß Charles Sanson], ein junger Mensch von riesenhaftem Wuchs, eintritt, um ihr die Haare zu schneiden, läßt sie sich ruhig die Hände auf den Rücken binden und leistet keinen Widerstand. Das Leben, sie weiß es, ist nicht mehr zu retten, einzig die Ehre. Nur jetzt vor niemandem Schwäche zeigen! Nur Festigkeit bewahren und allen, die es zu sehen begehren, zeigen, wie eine Tochter Maria Theresias stirbt. Gegen elf Uhr werden die Türen der Conciergerie geöffnet. Draußen steht der Schinderkarren, eine Art Leiterwagen, dem ein mächtiges, schwarzes Pferd vorgespannt ist. Ludwig XVI., er war noch in seiner geschlossenen Hofkarosse feierlich und respektvoll zum Tode geführt worden, geschützt durch die gläserne Wand vor der gröbsten Neugierde, dem schmerzhaftesten Haß. ... Als Sitz diente [für Marie Antoinette] einzig ein zwischen die Sprossen geschobenes Brett ohne Polster oder Decke: auch Madame Roland, Danton, Robespierre, Fouquier, Hébert, alle, die Marie Antoinette in den Tod schicken, werden auf dem gleichen harten Brette die letzte Fahrt machen ... Der Henker Samson hält sie an dem langen Strick, mit dem man ihr die Hände auf den Rücken gebunden hat ... Der riesige Revolutionsplatz, die heutige Place de la Concorde, ist schwarz von Menschen. Zehntausende stehen seit frühmorgens auf den Beinen ... Der Karren hält vor dem Schafott. Ruhig und ohne Hilfe, 'mit einem noch steinerneren Gesicht als beim Verlassen des Gefängnisses', tritt die Königin, jede Hilfe zurückweisend, die bretternen Stufen des Schafotts empor; sie schreitet genauso leicht und beschwingt in ihren schwarzen, hochstöckeligen Atlasschuhen diese letzten Stufen hinauf wie einst die marmornen Treppen von Versailles ... Die Henker fassen sie rücklings an, ein rascher Wurf auf das Brett, den Kopf unter die Schneide, ein Riß am Strang, ein Blitz des niedersausenden Messers, ein dumpfer Schlag, und schon packt Samson an den Haaren ein entblutetes Haupt und hebt es sichtbar empor über den Platz ... Es ist Mittag. Die Menge hat sich zerstreut. In einem kleinen Schubkarren fährt der Nachrichter die Leiche weg, den blutigen Kopf zwischen den Beinen. ... Inzwischen bleibt der Sarg auf dem Friedhof unbeerdigt stehen, wegen eines einzigen Menschen gräbt man, es wäre zu kostspielig, kein Grab. Man wartet auf Nachschub von der fleißigen Guillotine, und erst als ein Schock [also 60 Tote] beisammen ist, wird der Sarg Marie Antoinettes mit ungelöschtem Kalk übergossen und zugleich mit den neu eingelieferten in ein Massengrab geworfen." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 550-557).
22 Jahre nach der Hinrichtung von Marie Antoinette gab ihr Schwager, der nunmehrige französische König Ludwig XVIII., den Auftrag, ihre Überreste im Klostergarten bei der Madeleine, wo Tausende von Opfern des Terrorregimes ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, zu finden: "... nur dies weiß man, daß der Konvent befahl, die Königsleichen mit ungelöschtem Kalk zu überschütten. So gräbt man und gräbt. Endlich klirrt der Spaten auf harte Schicht. Und an einem halbvermoderten Strumpfband erkennt man, daß die Handvoll blassen Staubes, die man schaudernd aus der nassen Erde hebt, die letzte Spur jener hingeschwundenen Gestalt ist, die ihrer Zeit die Göttin der Grazie und des Geschmacks, dann aber die geprüfte und erwählte Königin alles Leidens gewesen ist." (in: Stefan Zweig: Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters, ebenda, S. 564).
Videotipp:
Das Grabmal von Ludwig XVI. und Marie Antoinette in der Kathedrale von Saint-Denis
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