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13/02/2025

Philipp I. der Großmütige, seine Enkelin Anna von Sachsen und Wilhelm von Oranien

Abb. 1: Anna von Sachsen (1544-1577) als die römische Göttin Venus (Identifikationsporträt), um 1561

Anna von Sachsen (1544-1577) (Abb. 1) lebte, nachdem ihr Vater Moritz, seit 1547 Kurfürst von Sachsen, in der Schlacht bei Sievershausen am 9. Juli 1553 durch eine Kugel schwer verwundet worden und zwei Tage später an den Folgen dieser Verletzung gestorben war, mit ihrer Mutter Agnes (1527-1555) von September 1553 bis Mai 1555 bei ihrem hessischen Großvater Philipp I. dem Großmütigen (1504-1567) (Abb. 2), der seine sensible Enkelin in dieser Zeit sehr ins Herz geschlossen hatte. Am 26. Mai 1555 hatte ihre Mutter auf Befehl ihres Großvaters Philipp eine weitere Ehe einzugehen. Ihr zweiter Gatte wurde Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen (1529–1595), der älteste Sohn des ehemaligen sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen. Es schien eine gute Wahl von Philipp gewesen zu sein, und Anna durfte nun Weimar als ihr neues Zuhause nennen. Aber das neue Glück von Agnes und von Anna währte nur sehr kurz. Ein halbes Jahr nach der Hochzeit starb Agnes bereits am 4. November 1555 an einer schweren Lungenentzündung. Die Fehlgeburt, die sie einen Monat zuvor, im Oktober 1555, erlitten hatte, hatte sie vermutlich körperlich so sehr geschwächt, dass sie dieser Krankheit erlag. Für Anna bedeutete der Tod ihrer Mutter einen erneuten Ortswechsel. Sie wäre so gern bei ihrem Stiefvater geblieben. Aber Annas Onkel und Vormund, der sächsische Kurfürst August (Abb. 3), ließ sie wenige Wochen nach dem Tod ihrer Mutter nach Dresden bringen, wo sie eine sehr lieblose und strenge Kindheit verbrachte.

Abb. 2: Landgraf Philipp I. der Großmütige von Hessen (1504-1567)
Abb. 3: Kurfürst August von Sachsen (1526-1586)

Da Anna die reichste Erbtochter aus einem fürstlichen Hause in Deutschland war, gehörte sie zu den begehrtesten Bräuten ihrer Zeit. So bat bereits im Jahr 1556 Erik XIV. (1533-1577) (Abb. 4), der älteste Sohn des schwedischen Königs Gustav I. Wasa († 1560), um ihre Hand. Aber er wurde als zukünftiger Gatte von Anna von ihrem Onkel August abgelehnt. Gegen Ende des Jahres 1559 trat schließlich ein neuer Anwärter um ihre Hand auf: Wilhelm von Oranien (1533-1584).

Abb. 4: Erik XIV. (1533-1577) (Abb. 4), der älteste Sohn des schwedischen Königs Gustav I. Wasa († 1560)
Abb. 5: Wilhelm von Oranien (1533-1584), der älteste Sohn des Grafen Wilhelm III. von Nassau († 1559) und dessen zweiter Gattin, Juliane von Stolberg († 1580), der unter seinem Lehnsherrn in den spanischen Niederlanden, Philipp II. von Spanien, zum Gouverneur von Holland, Seeland und Utrecht aufstieg

Wilhelm brauchte mittlerweile wegen seines mächtigen Lehnsherrn, dem spanischen König Philipp II. (1527-1598), dringend Geld und Truppen, und da war Anna die beste Braut, die man sich in solch einer schwierigen Situation wünschen konnte. Ihr Onkel wollte sie zudem so schnell wie möglich verheiraten, denn er hatte wegen Anna ständig Streit mit seiner Gattin Anna von Dänemark (1532-1585). Aber es sprach so viel gegen eine Ehe zwischen seiner Nichte Anna und Wilhelm von Oranien: Sie war Lutheranerin, er Katholik und sie die Tochter eines Kurfürsten, er hingegen nur ein Graf und Prinz. Überdies boten seine Sexorgien in seinen Residenzen in Breda und in Brüssel im Jahre 1559 für seine Zeitgenossen reichlichen Gesprächsstoff. Jede Gattin von ihm hätte wegen seiner permanenten Untreue zu leiden gehabt. Deshalb war ihm im Jahr 1559 auch nicht die Hand der lothringischen Prinzessin Renée (1544-1602) gewährt worden. Auch Wilhelms Lehnsherr, der spanische König Philipp II., war wegen der unterschiedlichen Religionen des Paares gegen eine Eheschließung. Nur der wortgewaltige Wilhelm von Oranien, der es mit der Wahrheit nie sehr ernst nahm, konnte es schließlich schaffen, sowohl August als auch Philipp II., was die Religion des zukünftigen Ehepaares betraf, zufriedenzustellen, indem er beiden einfach alles versprach, was diese hören wollten. August von Sachsen bekam die Versicherung, dass Anna ihrem protestantischen Glauben nachgehen könnte und dass alle Kinder aus ihrer Ehe nach lutherischem Ritus getauft würden, und Philipp II. von Spanien versicherte er, dass Anna wie eine Katholikin leben und dass man sämtliche Kinder selbstverständlich nach katholischem Ritus taufen würde. Letztendlich durfte Anna ihren protestantischen Glauben behalten, aber die ersten drei Kinder wurden nach katholischem Ritus getauft. Anders sah es da schon bei Annas Großvater, dem hessischen Landgrafen Philipp I. dem Großmütigen, aus. Er ließ sich von Wilhelm von Oranien nicht um den kleinen Finger wickeln. Er erkundigte sich gründlich über diesen Mann, der seine geliebte Enkelin heiraten wollte. Und er war gegen diese Heirat und wollte sie mit allen Mitteln verhindern. Seine Argumente gegen eine Eheschließung der beiden waren Folgende:

  1. Anna sei die Tochter eines Kurfürsten, Wilhelm von Oranien hingegen nur ein Graf. Der Rangunterschied zwischen beiden sei zu groß.
  2. Wilhelm von Oranien sei zu stark verschuldet, als dass er im Falle seines Todes seine zukünftige Gattin entsprechend ihrem Stande versorgen könne.
  3. Wilhelm von Oranien habe schon Kinder aus einer früheren Ehe. Die Kinder seiner Enkelin Anna würden deshalb erbrechtmäßig benachteiligt sein. Nicht Annas ältester Sohn würde die Würde, den Stand und die Besitztümer des Vaters erben, sondern Philipp Wilhelm (1554-1618), der Sohn von Wilhelms erster Gattin Anna von Buren und Egmond (1533-1558), die rangmäßig unterhalb seiner Enkelin stehe. [Was in Zukunft tatsächlich eintreten sollte: Philipp Wilhelm wurde der nächste Prinz von Oranien!]
  4. Anna sei eine Lutheranerin, Wilhelm von Oranien ein Katholik, der sich überdies noch in den Diensten des "katholischsten" Herrschers des Abendlandes und des größten Feindes der Lutheraner, nämlich Philipps II. von Spanien, befinde.
  5. Wilhelm von Oranien habe seine erste Gattin Anna von Buren und Egmond nicht gut behandelt. Er habe sich nicht einmal bemüht, seine zahlreichen Liebschaften vor ihr zu verheimlichen. Seine Enkelin Anna sei zu sensibel, um dies ertragen zu können.

Den letzteren Punkt erwähnte der hessische Landgraf Philipp noch einmal in einem Schreiben an den sächsischen Kurfürsten August am 19. April 1561: "Vonn der tugennt des Printzenn lassenn wir inen einen weldt thugentsamen mann seinn; so er aber bey diesser unser dochter [Enkeltochter] sein ehe haltten wird wie bei der vorigen, so wirt es ir beschwerlich genug sein."

Trotz seiner Warnung, dem Nassauer zu misstrauen, fand die Hochzeit seiner Enkelin mit Wilhelm von Oranien am 24. August 1561 in Leipzig statt, wo Annas Onkel August das Fest in "unerhörter Pracht" ausrichten ließ. Und Annas Großvater sollte so recht behalten. Hätte man auf ihn gehört, wäre seiner Enkelin Anna viel Leid im Leben erspart geblieben. Der hessische Landgraf hatte jedoch seit 1540 jegliche Kompetenz, was eheliche Angelegenheiten betraf, durch seine skandalöse Doppelehe verloren. Auf Bigamie stand laut der kaiserlichen Halsgerichtsordnung von 1532 die Todesstrafe: Ertränken im Sack oder Enthauptung. Von 1540 bis 1549 besaß er nämlich zwei Gattinnen. Um die Heirat seiner geliebten Enkelin mit Wilhelm von Oranien zu verhindern, hatte er zu guter Letzt noch versucht, den Kurfürsten August zu überreden, ihm eine persönliche Zusammenkunft mit Anna zu gewähren, um seinen Einfluss auf diese noch einmal unmittelbar ausüben zu können. Er wollte ihr im Falle, dass sie auf ihre Heirat mit dem Nassauer verzichten würde, bei einer anderen Eheschließung 50.000 Gulden aus seinem eigenen Vermögen als zusätzlichen Beitrag zu ihrer Mitgift beisteuern. August von Sachsen lehnte jedoch dieses Gespräch zwischen Großvater und Enkelin zur großen Freude des Bräutigams ab. Die Ehe wurde eine reine Katastrophe. Schon im Jahr 1562, also ein Jahr nach der Hochzeit, trieb Wilhelm es wieder mit unzähligen Frauen. Er schlug Anna, ließ sie Monate lang auf sich allein gestellt, half ihr nicht, als sie durch den Tod von zwei von ihren Kindern an Depressionen zu leiden begann und wollte sie schließlich seit 1570 loswerden, nachdem ihre Onkel, die sächsischen und die hessischen, ihm keine militärische und finanzielle Unterstützung in seinem Kampf gegen Philipp II. gewähren wollten und er ihre gesamte große Mitgift bereits aufgebraucht hatte.

Ihr Großvater hatte dies alles vorausgesehen und in seinem Testament seinen Söhnen befohlen, Anna, wenn sie jemals Beistand - finanziell und/oder seelisch - bräuchte, zu helfen. Letztendlich blieb jene jedoch, als sie so dringend Hilfe von ihren Onkeln benötigte, dem sächsischen und den hessischen, ohne Schutz und Verständnis auf sich allein gestellt: "... dahero er [Philipp der Großmütige], in seinem, nachhero im Jahre 1562, errichteten lezten Willen besonders verordnete, daß, woferne, dieses Vertrags [mit dem Kurfürsten August von Sachsen] wegen, seine Enckelin dereinst etwa bey seinen Söhnen Beystand zu suchen nöthig finden möchte, selbige alsdenn solchen ihr auch leisten sollten." (in: Johann Christoph Stößel: Versuch einer Lebensgeschichte der Prinzeßin Anna, Churfürst Moritzens Tochter, und Gemahlin Prinz Wilhelm des ersten von Oranien, S. 228-322, in: Sammlung vermischter Nachrichten zur Sächsischen Geschichte, Eilfter Band, Chemnitz 1776, S. 231).

Lesetipp: "Philipp I. der Großmütige (1504-1567), der Landgraf von Hessen, und seine Doppelehe"

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