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22/05/2016

Lob auf den Papyrus

Cassiodorus (um 485/87 – um 580/83), der hohe und sehr belesene Beamte des Gotenkönigs Theoderich († 526) konnte den Papyrus nicht hoch genug preisen

„...Was dergleichen wächst denn in irgendeiner Pflanzung auf als das, worauf die Gedanken der Klugen überliefert werden? Vordem waren die Aussprüche der Weisen und die Gedanken der Vorfahren nicht gesichert, denn auf welche Art hätte schnell aufgeschrieben werden können, was ob der widerstrebenden Härte der Rinde kaum auszuführen war? Kein Wunder, wenn ein Geistesblitz unter schwerfälliger Verzögerung litt! Und ob der Worte Aufschub mußte manches Genie schal werden.

Daher nannte das Altertum auch die Werke der Vorfahren Bast/ Bücher (libros); denn auch heute heißen wir Bast/ Buch (librum) das vom lebenden Holz Abgeschälte. Es war, gebe ich zu, nicht passend, die gelehrten Reden ungehobelten Tafeln anzuvertrauen und in dürre Zweige einzukerben, was eleganter Witz zu finden vermochte. Mit ermüdeten Händen regte der [nur] für wenige die Erinnerung an (und wurde auch nicht motiviert, mehr zu sagen), dem sich eine derartige Seite darzubieten schien. Doch war dies für die Anfangszeit passend, als ein roher Beginn einen solchen Einfall haben mußte, der das Ingenium der Nachfolgenden hervorlocken sollte. Die Schönheit der Papyrusblätter wird vielfach einladend genannt, wo man nicht fürchtet, daß das Material für ein Privileg entzogen wird.

Den Eloquenten erscheint es nämlich wie ein Feld mit weißer Oberfläche, ist in Fülle immer hilfreich und wird, wodurch es handlich wird, in sich eingerollt zusammengebunden, bis man es in großen Flächen entrollt. Eine Verbindung ohne Spalten, ein kleinteiliges Ganzes, das weiße Mark grünender Pflanzen, eine beschreibbare Oberfläche, die als Zierde das Schwarz aufnimmt, worauf, mit hervorstechenden Buchstaben gepflanzt, die so fruchtbare Wortsaat den Nachdenkenden höchst süßen Ertrag bringt, und das, so oft sie auf den Wunsch des Lesers trifft. [Der Papyrus] ist ein getreulich bewahrender Zeuge menschlicher Taten, Verkünder des Vergangenen, Feind des Vergessens.

Unser Gedächtnis nämlich verändert die Worte, auch wenn es die Sachen selbst festhält; dorthin wird aber in Sicherheit deponiert, was stets in gleicher Form gehört werden soll ...“ (in: Cassiodorus, Variae XI, 38 (= Briefe des Ostgotenkönigs: Theoderich der Große und seine Nachfolger – Aus den „Variae“ des Cassiodor; herausgegeben von Ludwig Janus, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Peter Dinzelbacher, Heidelberg 2010, S. 87-88).