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26/06/2022

Das Häuschen von Johann Heinrich Lührs

Eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert (Südaustralien)

Das Häuschen von Johann Heinrich Lührs (oder "Luhrs Cottage")
In Südaustralien gibt es in Light Pass (im Barossa Valley) für jeden, der sich für die Geschichte des 19. Jahrhunderts interessiert, eine Überraschung, ein kleines Haus, erbaut um 1846 bis 1850, das dank des Einsatzes von Margaret Zweck vor seiner Zerstörung gerettet werden konnte. Ein wunderschöner Vorgarten begrüßt sämtliche seiner Besucher und Besucherinnen, die eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert machen möchten. Das Haus gehörte einem gewissen Johann Heinrich Lührs, der am 26. September 1808 in Wiedingen, einem heutigen Ortsteil von Soltau (in der Nähe von Hannover), das Licht der Welt erblickt hatte. Er hatte in seiner Heimat eigentlich Pastor werden wollen, aber bevor er seine Weihe erhielt, um auch als Pastor tätig sein zu dürfen, verließ er Deutschland, um sich nach Australien zu begeben. Das Geld für seine Überfahrt hatte er sich selbst zusammengespart. Zuerst blieb er jedoch noch für zwei Jahre in England und studierte an der Universität von Oxford Sprachen, bevor er sich am 31. Dezember 1843 endlich auf die lange Schiffsreise nach Südaustralien begab. Dort angekommen, lebte er die erste Zeit über in der Encounter Bay, wo er dem Missionar Meyer bei seiner Arbeit behilflich war. Dann begab er sich nach Lobethal, wo er als Assistent des Pastors Daniel Fritzsche am lutherischen College tätig war und wo er auch seine zukünftige Gattin Anna Rosina Scholz, geboren am 28. Februar 1820 in Schlesien, kennenlernte. Jene war erst am 18. September 1845 mit Johann Christian Heidrich (1797-1857) und seiner Familie, deren Dienstmagd sie war, in Südaustralien eingetroffen. Am 6. August 1846 heirateten die beiden und begaben sich nach Light Pass, wo Johann Heinrich Lührs der Posten eines Lehrers an der lutherischen Tagesschule angeboten worden war. Und hier lebten sie schließlich in diesem Haus, das mit Hilfe von Lehm und Stroh und einem Gerüst aus einem bestimmten Eukalyptusholz errichtet worden war.
Das Lührs Häuschen von der Seite und von hinten betrachtet
Das kleine Haus von Johann Heinrich Lührs und seiner Gattin Anna Rosina Scholz wies vier kleine Zimmer auf: zwei Schlafzimmer, eine Küche und ein Wohnzimmer.
Das Wohnzimmer
Die Ausstattung der vier kleinen Zimmer ist leider nicht mehr erhalten, aber durch zeitgerechte andere Möbelstücke und Utensilien ersetzt worden. Das Wohnzimmer spielte immer eine besondere Rolle in jedem Haus der Vergangenheit. Es war das Vorzeigezimmer. Und in keiner bürgerlichen Familie durfte ein Klavier fehlen, denn die Musik spielte gerade in den lutherischen Familien eine wichtige Rolle.
Ein Liederbuch mit "leichter Clavierbegleitung"
Der genaue Titel dieses Liederbuches lautet: Geistliche und weltliche Lieder mit leichter Clavierbegleitung. Ein hundert und zwölf Lieder aus "Christliche Lieder für Schule und Haus", "Liederbuch für Mädchenschulen" und "Liederbuch für Kleinkinderschulen". Herausgegeben von Joh. Fr. Ranke. Inspektor des Johannisstiftes zu Schildesche, früher Lehrer an der Diakonissen-Anstalt und dem damit verbundenen Seminar zu Kaiserswerth a. Rh. Zweite, vermehrte Auflage. Bielefeld und Leipzig, 1874. Verlag von Vehlhagen und Klasing.
Die "Häuslichen Tugenden" in jedem deutschen Haus des 19. Jahrhunderts:
"Des Hauses Zier ist Reinlichkeit, Des Hauses Ehr' Gastfreundlichkeit, Des Hauses Segen Frömmigkeit, Des Hauses Glück Zufriedenheit."
... und in keinem deutschen Haus fehlten diese Bilder mit den kurzen, oft frommen Sprüchen: "Grüß Gott tritt ein, Bring Glück herein!"
Selbst noch zu meiner Zeit als Kind fehlten diese Bilder nicht in den Wohnzimmern meiner Eltern und Großeltern. Bei uns zu Hause las man auf diesem Bild: "Vertrau' auf Gott, verlier nie den Mut, hab' Sonne im Herzen, und alles wird gut."
Die Unterwäsche des weiblichen Geschlechts (das gefürchtete Korsett darf natürlich nicht fehlen)
Das Kinderschlafzimmer der Familie Lührs mit dem Steinfußboden
Johann Heinrich Lührs und seine Gattin Anna Rosina hatten sechs Kinder: 1. Wilhelm Heinrich (1848-1909), 2. Johanna Louise (1850-1933), 3. Anna Maria (1852-1884), 4. Gotthard Daniel, der noch am Tag seiner Geburt im Jahr 1854 starb, 5. August Hermann (1856-1902) und 6. Rosina Pauline (1858-1925). Das jüngste Kind, ihre Tochter Rosina Pauline, war erst fünf Jahre alt, als Johann Heinrich Lührs am 25. Oktober 1863 im Alter von nur 55 Jahren starb. Er war schon seit längerer Zeit häufig sehr krank und litt auch an körperlichen Gebrechen. Seine Gattin Anna Rosina überlebte ihn um 29 Jahre und starb am 19. Dezember 1892.
Wilhelm Heinrich Luhrs (1848-1909) (das "ü" wurde mittlerweile zum einfachen "u"), das erste Kind von Johann Heinrich Lührs, mit seiner Gattin Maria Elizabeth Joppich (1846-1913)
Wilhelm Heinrich Luhrs und Maria Elizabeth Joppich heirateten am 20. April 1871 und hatten 12 Kinder, von denen neun das Erwachsenenalter erreichten.
Johanna Louise Luhrs (1850-1933), das zweite Kind von Johann Heinrich Lührs, mit ihrem Gatten Christian Gottfried Heidrich (1849-1926), bei dem sich um einen Enkelsohn des ehemaligen Dienstherrn ihrer Mutter Anna Rosina, Johann Christian Heidrich, handelte
Die beiden heirateten am 27. April 1871 und hatten insgesamt sechs Kinder. Hier ließen sie sich mit ihrem ersten Kind, ihrem Töchterchen Johanna Louise Maria, fotografieren, die am 20. März 1872 geboren wurde und bereits am 9. Juli 1874 starb. Die Kindersterblichkeit war im 19. Jahrhundert immer noch hoch.
Anna Maria Luhrs (1852-1884), das dritte Kind von Johann Heinrich Lührs, mit ihrem zweiten Gatten Carl Hermann Glatz (1850-1917)
Anna Maria Luhrs war das erste Kind von Johann Heinrich Lührs und seiner Gattin Anna Rosina, das sich verheiratete. Am 9. September 1869 wurde sie die Gattin von Heinrich August Obst (1848-1873), dem sie zwei Kinder schenkte: Carl Heinrich August (1870-1940) und Anna Maria Elisabeth (1871-1947). Die Ehe währte jedoch nur kurz, denn am 3. April 1873 starb Heinrich August Obst an den Folgen eines Unfalls, der auf seiner Farm geschah. Am 9. Februar 1874 heiratete Anna Maria zum zweiten Mal. Ihr zweiter Gatte war Carl Hermann Glatz, mit dem sie sich hier fotografieren ließ. Bei den Kindern handelt es sich um Carl Heinrich August Obst (rechts), Anna Maria Elisabeth Obst (in der Mitte) und ihrem ersten Kind aus ihrer zweiten Ehe, Anna Ida Selma Glatz (1874-1967). Es folgten noch drei weitere Töchter, Anna Louise (1876-1968), Pauline Klara (1880-?) und Ernestine (1882-?), bevor Anna Maria bereits im Alter von nur 32 Jahren am 31. August 1884 starb.
August Hermann (nicht Hermann August) Luhrs (1856-1902), das fünfte Kind von Johann Heinrich Lührs, und seine Gattin Anna Elizabeth Bertha Scholz (1863-1923) mit vier von ihren insgesamt sieben Kindern
August Hermann und Anna Elizabeth Bertha heirateten am 30. Juni 1881 und hatten sieben Kinder: 1. Carl Hermann (1882-1955) (der kleine Junge oben links im Bild), August Wilhelm (1884-1956) (oben rechts im Bild), 3. Johann Theodor (1887-1907) (unten rechts im Bild), 4. Heinrich Berthold (1889-1951) (der kleine Junge auf dem Schoß seiner Mutter - es handelt sich um einen Jungen und nicht ein Mädchen, lassen Sie sich durch die Kleidung nicht verwirren!), 5. Alwine Ida (1891-1961), 6. Norbert Hermann (1899-?) und 7. Florentine Rosa (1901-1986).
Rosina Pauline Luhrs (1858-1925), das sechste und jüngste Kind von Johann Heinrich Lührs, mit ihrem Gatten, Carl Friedrich Samuel John (1855-1923)
Rosina Pauline und Carl Friedrich Samuel heirateten am 3. Juni 1879 und hatten neun Kinder: 1. Louise Clara (1881-1963), 2. Alfred Bernhard (1883-1955), 3. Pauline Bertha (1884-1962), 4. Carl Oscar (1886-1941), 5. Louisa Minna (1888-1889), 6. Amalie Selma (geboren am 2. Januar 1889, gestorben am 11. Juli 1889), 7. Helene Gertrude (1890-1976), 8. Friedrich Wilhelm (1892-1960) und 9. Ernst Albert (1894-1966).
Die Silberhochzeit von Rosina Pauline Luhrs und ihrem Gatten, die sich in der zweiten unteren Reihe in der Mitte befinden, im Jahr 1904 im Kreise ihrer Kinder und Neffen und Nichten
Das typische Spielzeug für die Kinder im 19. Jahrhundert
... und es wurde noch sehr viel Deutsch gesprochen und gelesen.
Ein Paar Rollschuhe aus dem 19. Jahrhundert
Was es bedeutete, ein Mädchen im 19. Jahrhundert zu sein.
Die meisten Mädchen gingen im 19. Jahrhundert in Australien nur zwei oder drei Jahre in die Schule. Man hielt es für eine Geldverschwendung, Mädchen eine geistige Ausbildung zu gewähren. Man brauchte sie zudem, wenn sie das Alter von 10 Jahren erreicht hatten, im Haushalt und auf der Farm. Besonders die ältesten Töchter hatten der Mutter in der Küche beim Kochen, Waschen und Bügeln, in den Gemüse- und Obstgärten, bei der Aufzucht von Hühnern und Schweinen, beim Melken der Kühe und der Herstellung von Butter und Sahne und bei der Erziehung und der Aufsicht der jüngeren Geschwister zu helfen. Von ihrer Mutter hatten außerdem alle Töchter das Nähen, Sticken, Häkeln und Erstellen der eigenen Kleidung, das Kochen, Backen von Brot und die Herstellung von Kuchen zu erlernen. Ihre Näh- und Häkelarbeiten wurden in einer sogenannten Aussteuertruhe aufbewahrt, die sie vor ihrer Hochzeit öffneten, um jedem Anwesenden ihre Näh- und Häkelkünste vorzeigen zu können. In einigen Fällen wurde der ältesten Tochter das Heiratsrecht verwehrt, da sie als Helferin der Mutter benötigt wurde und später auch für die alten Eltern zu sorgen hatte.
Die Küche der Familie Lührs in ihrem kleinen Haus
Hinter dem ersten Haus der Familie Lührs (im Vordergrund), das um 1846 bis 1850 errichtet worden war, wurde 23 Jahre später ein weiteres Gebäude (im Hintergrund) errichtet, bei dem es sich im Prinzip um eine große Küche handelte, in der in einem großen Backofen Brote und Kuchen für die Familie gebacken wurden. Überdies wurde hier die Wäsche gewaschen und stand eine Badewanne bereit, in der einmal in der Woche, im Allgemeinen am Samstagabend, die gesamte Familie sich gründlich für den am Sonntag anstehenden Gottesdienst wusch.
Die Rückseite des neuen Küchengebäudes mit seinem Kelleranbau
Wie man im 19. Jahrhundert noch die Wäsche wusch.
Wie das Bad am Samstag ablief.
Es gab eine allgemein anerkannte Regel, wie das Bad am Samstagabend zu nehmen war. Um Wasser und auch Heizkosten zu sparen, hatten alle Familienmitglieder sich nacheinander in dem gleichen Wasser in der Badewanne zu waschen und zwar vom Ältesten zum Jüngsten. Das heißt, im Falle der Familie Lührs besaß der Vater das Recht, als Erster in die Badewanne zu steigen und sich zu reinigen, danach die Mutter, dann Wilhelm Heinrich, dann Johanna Louise, dann Anna Maria, dann August Hermann und schließlich die Jüngste, die kleine Rosina Pauline.
Die Toiletten, in Australien "Dunnies" genannt, befanden sich wie in Deutschland noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, fernab von den Häusern im Hinterhof oder in den Gärten, um den von ihnen ausgehenden unangenehmen Gerüchen zu entgehen.
Hier sehen Sie einen Dunny aus dem 19. Jahrhundert, der im "Loxton Historical Village" zu besichtigen ist.
Wie sieht es in einem Dunny aus?
Der Dunny war besonders in der Nacht ein Platz, den man nicht gern aufsuchen wollte. Denn die Schlangen, besonders die sehr giftige braune Schlange, liebten es, sich in der Nacht dorthin zu begeben. Außerdem bauten die Redback Spider (gifte Spinnen in Australien) sehr gern unter den Dunnysitzen ihre klebrigen Netze. Im Sommer waren die Dunnies tagsüber überdies mit fetten Brummern (Fliegen) gefüllt, die angeblich die Größe von Wellensittichen aufwiesen. Zumindest in der Nacht gab es daher unter den Betten Schüsseln, in die man sich entleeren konnte und die am nächsten Morgen dann ausgewaschen werden mussten. Da es auch noch kein Toilettenpapier gab, hatte man sich des Zeitungspapiers zu bedienen.
Was Sie schon immer über die australischen Toiletten, Dunnies genannt, wissen wollten.
Die "Redback Spider"
Ursprünglich gab es die Redback Spiders nur bei uns in Südaustralien. Mittlerweile findet man sie in ganz Australien und selbst in Neuseeland und Südostasien. Und man findet sie im Prinzip überall im Garten, in der Garage und im Haus. Verborgene Ecken und Plätze wie hinter den Schränken, unter den Tischen, Stühlen - und daher auch unter den Toilettensitzen in den Dunnies -, unter den Betten ... und draußen in leeren Blumentöpfen, herumliegendem Spielzeug, hinter Gartengeräten ... Alles, was längere Zeit nicht geputzt oder verwendet wurde, könnte der Aufenthaltsort einer Redback Spider werden. Die Spinne ist jedoch im Gegensatz zu der berühmten Funnel-web Spider nicht aggressiv und versucht, einer Konfrontation mit dem Menschen zu entgehen. Im Prinzip greift man aus Versehen in ihre sehr klebrigen Netze, und sie konnten nicht entfliehen und wehren sich. Der Biss ist sehr schmerzhaft, und das Gift, das sie einspritzen, ist sehr gefährlich. Gerade Kinder können an dem Biss einer Redback Spider sterben. Aber wir besitzen heute das Gegengift, und es sterben in unserer Zeit daher eigentlich nur noch sehr wenige Menschen an einem Biss dieser Spinne. Die Spinne, die an ihrem roten Fleck oder Streifen auf ihrem schwarzen Rücken leicht zu erkennen ist, ist übrigens mit der Schwarzen Witwe in Europa verwandt. Nur die Weibchen sind gefährlich und können eine Größe von 15 mm aufweisen, die Männchen mit einer maximalen Größe von 5 mm sind eher braun oder grau als schwarz und werden nach dem gefährlichen Sexualakt mit den Weibchen sehr häufig verspeist, falls sie sich nicht schnell genug von ihnen entfernen konnten.
Die braune Schlange (the Eastern Brown Snake)
Die Eastern Brown Snake, die hier in Südaustralien sehr viel zu finden ist (auch wenn wir sie selten sehen), ist die zweittödlichste Schlange in der Welt nach der Inland Taipan, die ebenfalls in Australien heimisch ist. Sie sind am aktivsten am frühen Morgen oder wenn es dunkel wird, und sie lieben dunkle, kühle Plätze wie die Dunnies in der heißen Tageszeit und natürlich kühle Plätze im Haus wie die Schlafzimmer und die Kühlschränke, hinter denen sie sich sehr gern verstecken. Daher sollte man immer darauf achten, die Türen gleich hinter sich zu schließen. Sollte man das Pech haben, eine Schlange in seiner Wohnung oder in seinem Garten zu haben, sollte man sie in Ruhe lassen. Schlangen sind von Natur aus scheu und werden uns nicht angreifen, wenn wir sie nicht provozieren. Es gibt bei uns professionelle Schlangenfänger, die man anruft und die einen von der Schlange befreien. Mein Gatte Holger und ich leben nun seit insgesamt 29 Jahren in Australien. Der Eastern Brown Snake sind wir nur zweimal begegnet, einmal in unserem Botanischen Garten (fünf Minuten von unserem Haus entfernt) - sie schaute uns nur kurz an und verschwand im hohen Gras - und einmal im Innes National Park - sie befand sich direkt vor meinen Füßen, schaute mich an und machte sich weiter auf ihren Weg von uns weg. Da es heute auch gegen die Bisse der Eastern Brown Snake ein Gegengift gibt, ist die Überlebenschance sehr hoch (man muss nur innerhalb von sieben Stunden ein Krankenhaus gefunden haben). Auch wenn wir hier in Australien die giftigsten Spinnen und Schlangen haben, ist die Wahrscheinlichkeit, durch einen Hundeangriff zu sterben, weitaus größer.
als Buch und als E-book

Zeitreise 1 – Besuch einer spätmittelalterlichen Stadt
als Buch, Independently published, 264 Seiten, 93 SW-Bilder, € 12,54, ISBN 978-1-5497-8302-9
und als E-Book