Hans Holbein der Jüngere: Jane Seymour, 1536
Jane Seymour
Jane Seymour wurde im Jahre 1509 als älteste Tochter und fünftes von zehn Kindern von Sir John Seymour († 1536) und Margery Wentworth († 1550) geboren. Die Familie ihres Vaters – die Seymours – blickten mit Stolz auf ihre normannischen Vorfahren zurück. Angeblich soll ein Lehnsmann Wilhelm des Eroberers mit dem Namen ‚Wido von Saint Maur‘ mit seinem Herrn im Jahre 1066 von Frankreich nach England übergesetzt haben. Einer von dessen Nachfahren soll Janes Vater, Sir John Seymour, gewesen sein.
Sir John Seymour, geboren um 1474, war im Jahre 1497 in der Schlacht von Blackheath von Heinrich VII. zum Ritter geschlagen worden. Im Jahre 1513 begleitete er den neuen König, Heinrich VIII., in den Krieg gegen Frankreich. 1532 wurde er schließlich zum Königlichen Kammerherrn erhoben. Zudem war er als Sheriff von Wiltshire, Somerset und Dorset tätig.
Janes Mutter, Margery Wentworth, eine Tochter des Edelmannes Sir Henry Wentworth of Nettlestead in Suffolk, konnte sogar voller Stolz auf ihre königliche Abstammung hinweisen. Einer ihrer Urururgroßväter war der englische König Eduard III. († 1377) gewesen.
1530 kam Jane als Tochter wohlangesehener Edelleute an den englischen Königshof, wo sie den Königinnen Katharina von Aragon (Abb. 220), der ersten Frau Heinrichs VIII. (Abb. 221) bis zum Jahre 1533, und Anna Boleyn (Abb. 222), der zweiten Frau Heinrichs VIII., bis Anfang 1535 als Hofdame gedient hatte. Der englische König selbst schien sich für sie erst im Jahre 1535 zu interessieren, als er ihr auf einer seiner üblichen Sommerreisen im Hause ihres Vaters erneut begegnet war. Jane war zu diesem Zeitpunkt bereits 26 Jahre alt und immer noch unverheiratet.
Die Zeitgenossen berichten von ihr, daß sie von mittlerer Größe war, nicht besonders schön und ziemlich blaß aussah und einen „demütig-zärtlichen“ Charakter aufwies. Gegenüber Untergebenen soll sie jedoch sehr stolz und arrogant aufgetreten sein. Ihre Augenfarbe war braun, ihr Mund fiel sehr klein aus, und sie besaß wie ihre Vorgängerin, Anna Boleyn, hohe Wangenknochen. Sonst jedoch hatte sie mit der zweiten Gattin des Königs wenig gemeinsam. Ihr mangelte es sehr an Selbstbewußtsein und Intelligenz, den charakterischen Eigenschaften der Anna Boleyn. Ja, im Gegensatz zu den ersten beiden willensstarken und selbstsicheren Gattinnen des Königs war Jane geradezu als schüchtern, sanft und zurückhaltend zu bezeichnen. Ihr Wahlspruch lautete denn auch „Zum Gehorchen und Dienen verpflichtet“. Ihre Lieblingsspeise sollen übrigens Wachteln gewesen sein.
Nach dem Besuch Heinrichs auf ihrem elterlichen Anwesen verließ sie das Haus ihres Vaters und kehrte mit ihrem Bruder Eduard († 1552) (Abb. 223), der zum Königlichen Kammerherrn erhoben worden war, an den königlichen Hof zurück. Ende Januar 1536 verbreitete sich dort bereits das Gerücht, der König wolle sich von Anna Boleyn für immer trennen, um seine Jane heiraten zu können. Denn auch Jane weigerte sich wie ihre Vorgängerin, Anna Boleyn, nur seine Geliebte zu werden. Auch ihre Devise war: Erst die Heirat, dann das Bett! Und sie gewann. Nur einen Tag nach Anna Boleyns Enthauptung verlobte sich der König mit ihr, und bereits 10 Tage später, am 30.5.1536, heiratete er sie in aller Öffentlichkeit. Am 4.6.1536 wurde sie schließlich zur Königin gekrönt. Und am 12.10.1537 gebar sie dem König, ihrem Gatten, den heißersehnten Sohn, der den Namen Eduard (Abb. 224) erhielt. Die Geburt, die drei Nächte und zwei Tage währte, erwies sich als sehr schwierig. Ein Kaiserschnitt – wie in einigen Geschichtsbüchern behauptet wird – war jedoch nicht nötig.
Der König und ganz London jubelten über die Geburt des Thronfolgers. Ein Zeitgenosse berichtet: „Unmittelbar nach der Geburt wurde in der Sankt-Pauls-Kathedrale und in anderen Kirchen der Stadt das Te Deum gesungen, und in allen Straßen wurden große Freudenfeuer entzündet; es wurde überall gefeiert, und Tag und Nacht ertönten Triumphgeschrei und Geschützsalven ...“ (in: Heinrich VIII. von England in Augenzeugenberichten, hrsg. von E. Jacobs und E. de Vitray, München 1980, S. 217). Bischof Latimer faßte die Gefühle Heinrichs VIII. und seiner dankbaren Nation folgendermaßen zusammen: „Wir ersehnten die Geburt eines Prinzen bereits seit so langer Zeit, daß, als unsere Hoffnung endlich in Erfüllung ging, die Freude genau so groß war wie bei der Geburt Johannes des Täufers“. (in: M.J.Tucker: Das Kind als Anfang und Ende: Kindheit in England im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, S. 326-363, in: Hört ihr die Kinder weinen. Eine psycho-genetische Geschichte der Kindheit, hrsg. von Lloyd deMause, Frankfurt a.M.1977, S. 342)
Am 15.10. wurde der kleine Prinz - wie es damals üblich war - zu später Stunde unter Fackellichtern in der Kapelle von Hampton Court getauft. Seine Paten waren Thomas Howard, der Herzog von Norfolk, der Erzbischof Thomas Cranmer und der Schwager des Königs, Charles Brandon, der Herzog von Suffolk. Für Jane war dies kein einfacher Tag. Denn das von Heinrichs Großmutter, Margarete Beaufort, für solche Zwecke aufgestellte Protokoll verlangte von ihr, während sie neben dem König auf einem Prunkbett im Vorzimmer der Kapelle saß, etwa 400 Gäste – hohe Geistliche, die Minister des Kronrates und die Edelleute – zu empfangen.
Am Nachmittag des nächsten Tages erkrankte Jane schwer. Die Symptome, hohes Fieber, starke Schmerzen im Bauchbereich und Deliriumszustände, sprachen eindeutig für das fast immer tödlich verlaufende Kindbettfieber, das so vielen Frauen im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein das Leben gekostet hatte. Auch Jane sollte zu seinen Opfern zählen. Sie starb am 24.10. kurz vor Mitternacht oder laut einer anderen Quelle am 25.10. um 2 Uhr in der Frühe.
Der König soll sie – so hieß es – sehr geliebt und zwei Jahre lang um sie getrauert haben. Aber wahrscheinlich waren das Wunschvorstellungen der Geschichtenerzähler. Sir John Wallop, der englische Gesandte in Paris, behauptete nämlich, daß Heinrich VIII. am 3.11.1537 wieder „fröhlich, wie ein Witwer nur sein kann“ seinen Vergnügungen nachging.
Janes Brüder, Eduard (geboren um 1504/05) und Thomas (geboren im Jahre 1507), blieben auch nach ihrem Tode in hoher Gunst beim König und besetzten wichtige politische Ämter (Abb. 225). Erst nach dem Tode Heinrichs VIII. verloren erst Thomas im Jahre 1549, dann Eduard im Jahre 1552 wegen angeblichen Hochverrates ihr Leben. Thomas Seymour (Abb. 226) war zudem mit Catherine Parr (Abb. 227), der sechsten Gattin Heinrichs VIII., von 1547-1548 verheiratet gewesen.
Janes Sohn Eduard VI.(Abb. 228), der als zartes Kind beschrieben wurde und der oft an Lungenentzündungen litt, erhielt wie seine Halbschwestern, Maria Tudor (Abb. 229) und Elizabeth I. († 1603) (Abb. 230), eine gründliche Erziehung. Wie Elizabeth I., zu der er sich zeitlebens sehr hingezogen fühlte, fiel ihm das Lernen sehr leicht, und er beherrschte bereits in frühen Jahren mehrere Sprachen – Latein, Griechisch, Französisch und Italienisch – perfekt. Zudem konnte er wie sein Vater Heinrich VIII. Laute spielen und zeigte besonderes Interesse für die Astronomie, die Theologie und die Politik.
Von seinen Zeitgenossen wurde er als bescheiden, freundlich und liebenswürdig beschrieben. Weniger positiv spricht dagegen der Historiker Geoffrey Elton, einer der bedeutendsten Tudor-Experten, über ihn: „Beide (Eduards Charakter und seine Meinung) waren weder angenehm noch vielversprechend. Eduard war von Natur überheblich und arrogant wie alle Tudors, und wie alle besaß er beachtliche geistige Fähigkeiten, die eine erschreckend einseitige Erziehung in eine frühreife Leidenschaft für die protestantische Theologie hatte ausarten lassen.“ (in: Geoffrey R. Elton: England unter den Tudors, München 1983, S. 224). Außerdem hält Elton Eduard VI. für einen kaltherzigen Snob, für selbstgerecht und zur Grausamkeit neigend. Nur bezüglich der übermäßigen Intelligenz des jungen Königs stimmt er mit den Meinungen seiner andersdenkenden Kollegen überein.
Eduard entwickelte sich durch seine reformfreundlichen Lehrer und seine Stiefmutter Catherine Parr, die er über alles liebte, in der Tat zu einem aufrichtigen Protestanten, so daß sich der evangelische Glauben während seiner kurzen Regierungszeit von 1547-1553 etablieren konnte.
Im Jahre 1552 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand jedoch dramatisch. Die überstandenen Masern und Pocken hatten seine Konstitution schwer angegriffen. Als er sich bei den Weihnachtsfeierlichkeiten 1552 auch noch eine Erkältung zugezogen hatte, war jederzeit mit seinem Tod zu rechnen. Und er starb tatsächlich am 6.7.1553 im Alter von noch nicht einmal 16 Jahren. Auf dem englischen Thron folgte ihm seine katholisch gesinnte Halbschwester Maria Tudor, die als „Bloody Mary“ in die Geschichte eingehen sollte.