Jan van Eyck: Nicholas Rolin, um 1433
Nicholas Rolin, der Kanzler Philipps des Guten von Burgund
Der Jurist, Diplomat, Finanzmann und Mäzen Nicholas Rolin, geboren im Jahre 1376 in Autun, gehörte zu den großen Politikern des 15. Jahrhunderts. Aus bürgerlicher Familie stammend, erhob er sich dank seines immensen Wissens, seiner großen Lern- und Anpassungsfähigkeit und seines geschickten Ausnutzens von Beziehungen zum bedeutendsten politischen Lenker des burgundischen Reiches. Bereits als junger Jurist trat er in die Dienste des burgundischen Herzogs Philipp des Kühnen († 1404). Seine eigentliche politische Laufbahn begann jedoch erst 1413 unter Herzog Johann Ohnefurcht († 1419), dem Sohn und Nachfolger von Philipp dem Kühnen. Nach der Ermordung Herzog Johanns im Jahre 1419 trat er schließlich in die Dienste von dessen Sohn und Nachfolger, Philipp dem Guten († 1467), der ihn am 3.12.1422 zum Kanzler Burgunds erhob. In diesem Amt bemühte sich Nicholas Rolin fast 40 Jahre lang, Burgund zwischen England und Frankreich zu einer unabhängigen dritten Macht werden zu lassen, wobei er stets größeres Vertrauen in die Diplomatie als in den Krieg setzte. Hier auf dem Bild befand er sich gerade im vierten Jahr seines Kanzleramtes. Gemäß der Mode seiner Zeit trug er die burgundische Frisur, die einer kappenartigen Perücke glich. Die Haare wurden im Nacken und über den Ohren ausrasiert und vom Wirbel gleichmäßig nach allen Seiten herabgekämmt. Um 1457 nahm Nicholas Rolins Einfluß beim Herzog ab, da er bei dem ständigen Konflikt zwischen Vater und Sohn Partei für den Herzogssohn, Karl den Kühnen (Abb. 8), und dessen Mutter, Isabella von Portugal (Abb. 9), bezogen hatte. Zudem mißfielen Philipp dem Guten (Abb. 10) Rolins Günstlingswirtschaft und dessen Nichtbereitschaft, jemanden neben sich oder an seiner Stelle regieren zu lassen. Nachdem der Herzog ihn schließlich aus seinen Diensten entlassen hatte, widmete Nicholas Rolin sich intensiv seinen zahlreichen Stiftungen. Jedoch bereits schon im Jahre 1459, als es mit Burgund politisch bergab ging, weil Frankreich erstens immer mächtiger geworden war und zweitens für die Existenz des burgundischen Staates immer bedrohlicher wurde, bat ihn der Herzog erneut um Rat.
Privat und charakterlich wissen wir von Nicholas Rolin folgendes: Seine Familie gehörte der Mittelklasse an, die aus bescheidenen Anfängen langsam an Einfluß gewann und schließlich Beamte und Magistrate in Burgund stellte. Nicholas Rolins Vater, Jean Rolin, verstarb sehr früh und ließ seine Frau Amée, eine geborene Joignot, mit den zwei Söhnen, Jean und Nicholas, zurück, die als Jünglinge beide – höchstwahrscheinlich in Paris – Jura studierten. Als Amée am 24.9.1398 den Schöffen Perrenet le Mairet in zweiter Ehe heiratete, wurden auch ihre beiden Söhne mit den Töchtern des neuen Stiefvaters, Jeannette und Marie, vermählt. Nicholas' erste Frau, Marie le Mairet, starb jedoch bereits im Juni 1407. Seine zweite Gemahlin, Marie de Landes, die aus einer Familie bedeutender französischer Finanzleute stammte, verlor er ebenfalls in jungen Jahren, so daß er sich Ende 1423 zum dritten Male – wiederum politisch und wirtschaftlich sehr günstig für ihn – vermählen konnte. Die Auserwählte war Guigone de Salins (Abb. 11), die Tochter von Etienne de Salins und Louise de Ruge. Guigone, die als eine der Ehrendamen am herzoglichen Hofe diente und deren Familie zum alten Adel Burgunds zählte, führte Rolin, der 1424 zum Ritter geschlagen worden war, in die hohe Aristokratie ein und vergrößerte zudem mit ihrer bedeutenden Mitgift den Reichtum ihres Gatten. Für Philipp den Guten wurde Nicholas Rolin der unentbehrliche Ratgeber an seiner Seite und die rechte Hand von seiner dritten Gattin, Isabella von Portugal, die politisch ebenfalls sehr aktiv tätig war. Da die geistige Heimat und die politischen Interessen des Herzogs mehr in den Niederlanden lagen, war er außerdem auf Rolin, der die Belange des burgundischen Herzogtum im französischen Landesteil in einer sehr weitgehenden Selbständigkeit zu führen verstand, angewiesen.
Charakterlich wurde Nicholas Rolin von seinen Zeitgenossen als gefürchtete, rücksichtslose und manchmal grausame Autorität beschrieben, die sich stets auf das Beste – sowohl politisch wie privat – zu informieren verstand. Zudem wurde ihm kalter Ehrgeiz und große Habsucht nachgesagt. So gehörte dieser kühl überlegende Jurist und hochbegabte Redner zu den reichsten Leuten Burgunds, denn er ließ sich seine Dienste am herzoglichen Hofe entsprechend hoch honorieren. Einige seiner Zeitgenossen hielten ihn sogar für bestechlich. Neben seinen vier legitimen Kindern, den Söhnen Guillaume, Anthoine und Jean und der Tochter Philippote, besaß er außerdem noch eine beachtliche Anzahl von Bastarden. Seine Söhne Guillaume und Anthoine, die 1445 bzw. 1452 zu Rittern erhoben wurden, schlugen am burgundischen Hof die militärische Laufbahn ein. Guillaume wurde jedoch in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des Mordes an einen Händler aus Autun beschuldigt und blieb bei Philipp dem Guten bis 1459 in Ungnade. 1475 befehligte er aber schließlich unter Karl dem Kühnen wieder eine Garnison in Dijon.
Der Stolz von Nicholas Rolin war sein Sohn Jean (Abb. 12), der zum Bischof von Autun erhoben wurde und der den burgundischen Herzog in Rom und als dessen Gesandter in den Konzilien von Basel und von Ferrara vertrat. 1449 wurde Jean von Papst Nikolaus V. sogar zum Kardinal erhoben. Wie sein Bruder Guillaume wurde er jedoch in den 50er Jahren gerichtlich belangt, und zwar in seinem Fall wegen Mißachtung herzoglicher Privilegien im Bistum Autun. Anscheinend hing auch diese Anklage wie die seines Bruders mit der Verstimmung des Herzogs Philipp des Guten gegenüber Nicholas Rolin im Jahr 1457 zusammen. Die zahlreichen Neider des mächtigen Kanzlers hatten sich nämlich zusammengetan, um Rolin und dessen Clique zu Fall zu bringen. Im Januar 1461 starb Nicholas Rolin, den Philipp der Gute „Vater“ genannt haben soll, nach einer schweren Krankheit im Alter von 85 Jahren in Autun. Das mächtige Mittelreich Burgund überlebte den Tod seines größten Politikers nur um 16 Jahre. Bereits 1477 verlor es unter Karl dem Kühnen nicht nur seine Machtstellung, sondern sogar fast seine Existenz (Abb. 13).
Zusatzbemerkung der Autorin:
Wann das berühmte Porträt des burgundischen Kanzlers gemalt worden ist, darüber gibt die Heilige Maria auf seiner Altartafel Auskunft (Abb. 14). Der große Maler Jan van Eyck hat nämlich die Gottesmutter mit den Gesichtszügen seiner Gattin Margareta versehen, die er im Jahre 1433 heiratete. Das jugendliche Antlitz der Letzteren weist daraufhin, dass die Altartafel von Nicholas Rolin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um 1433 erstellt worden ist.