Jan van Eyck: Porträt des sogenannten „Timotheos“, 1432
Musik am burgundischen Hof
Für Musik und Unterhaltung sorgte am burgundischen Hof unter anderen Künstlern z.B. dieser Mann, der mit dem berühmten Lyriker und Kitharöden, Timotheos von Milet (um 400 v. Chr.), verglichen wurde. Mit Sicherheit handelt es sich bei ihm nicht um den von Kunsthistorikern vorgeschlagenen Gilles Binchois (1400-1460), der ursprünglich Soldat gewesen war, sein Metier aber gewechselt und es zu einem berühmten Chanson-Komponisten gebracht hatte. Denn der hier Abgebildete litt – wie seine Gesichtszüge deutlich zeigen – an Zwergwuchs und wird daher für das Militär untauglich gewesen sein. Wie viele kleinwüchsige Menschen der Renaissance, die als Hofnarren und Lieblinge der Fürsten und Könige sich zuweilen mehr als ihre „großen“ Zeitgenossen an Kritik gegenüber ihren Herren und Damen erlauben durften, gehörte der Dargestellte zur Zwergwuchsgruppe der Chondrodystrophiker. „Dem Leiden (der Chondrodystrophie) liegt eine dominant vererbbare Störung des Knorpelwachstums zugrunde, wobei mangels abbaufähigen Knorpels die endchondrale Knochenbildung unterbleibt ... Die langen Röhrenknochen bleiben stark im Längenwachstum zurück. Es entstehen kurze, plumpe Extremitäten mit gut entwickelter Muskulatur und prallen Fettpolstern ... Die Kürze der Gliedmaßen läßt den Kopf zu groß wirken. Während der Kopfumfang sonst 30-36% der Körperlänge ausmacht, sind es hier 40-50%!“ (in: Helmut Vogt: Das Bild des Kranken, Flensburg 19802, S. 247)
Gemäß der Mode seiner Zeit trägt der Dargestellte hier die Sendelbinde, die typische burgundische Kopfbedeckung aus meist leichtem Seidenstoff. Die Art, wie man die Sendelbinde anlegte, wurde damals sogar zum Abzeichen. Denn je nachdem ob die Sendelbinde auf der linken oder rechten Schulter herabhing, gehörte man in den Bürgerkriegen entweder zu der einen oder zu der anderen Partei.