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Bedeutende Königinnen bzw. Kaiserinnen des Frühmittelalters

Die oströmische Kaiserin Theodora (um 497-548) - Der gesellschaftliche Aufstieg von ganz unten nach ganz oben

die oströmische Kaiserin Theodora
Die oströmische Kaiserin Theodora. Mosaikdarstellung aus dem Jahr 547. Ravenna, die Kirche San Vitale.

Über die oströmische Kaiserin Theodora zu schreiben, bedeutet, eines der Wundergeschichten und eine der größten Liebesgeschichten der Antike erzählen zu dürfen. Während wir mittlerweile gewohnt sind, von den Wundergeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts aus den USA zu hören, wo es Tellerwäscher geschafft hatten, zu Millionären aufzusteigen, ist die Geschichte des Lebens der oströmischen Kaiserin Theodora in der Tat einzigartig. Denn in der Antike hatte man im Prinzip nicht die Chance, der sozialen Klasse, in der man hineingeboren wurde, zu entgehen. Sie bestimmte im Allgemeinen das Leben von der Geburt bis zum Tod.

Außerdem sind wir im Fall von Theodora, was selten für eine weibliche Gestalt in der Antike zutrifft, dank der Geschichtsschreiber Johannes von Ephesos (um 507 – um 588) und Prokopios von Caesarea (um 500 – um 562) relativ gut über ihr Leben informiert. Beide kannten die Kaiserin in eigener Person. Johannes von Ephesos, seit dem Jahr 558 Bischof von Ephesos, betrachtete sich sogar als einer ihrer Freunde und verehrte sie. In seinem Werk „Das Leben der Heiligen im Osten“, in dem er uns von dem Leben von 58 heiligen Männern und Frauen berichtet, erwähnt er zuweilen auch Theodora. Er wusste wie viele seiner Zeitgenossen, dass jene einst Prostituierte war, denn über ihr früheres Leben wurde in den Straßen und Gassen von Konstantinopel fleißig geplaudert.

Prokopios von Caesarea diente dem berühmten byzantinischen Feldherrn Belisarius (um 505 – 565) als Sekretär und Rechtsberater in den Jahren 527 bis 540. Da Belisarius und dessen Gattin Antonina über viele Jahre die besten Freunde von Theodora und ihrem kaiserlichen Gatten Justinian I. (um 482 – 565) waren, kannte er das Kaiserpaar ebenfalls in eigener Person. So finden wir Informationen über jene in seinen Geschichtswerken „Die Geschichte der Kriege“ und „Anekdota oder Die Geheimgeschichte“. In seinem letzteren Werk, das er um 550 verfasste und das er zu seinen Lebzeiten nicht zu veröffentlichen wagte, ließ er an seinem ehemaligen Arbeitgeber Belisarius, dessen Gattin Antonina, die er als „Ehebrecherin, Mörderin und Magierin“ beschrieb und an dem Kaiserpaar kein gutes Haar.

Die oströmische Kaiserin Theodora erblickte um 497 in Konstantinopel das Licht der Welt. Sie besaß noch eine ältere Schwester, die den Namen Comito (oder Komito) († nach 548) trug und die um 495 geboren wurde, und vielleicht eine jüngere Schwester, der man den Namen Anastasia gegeben hatte, die, wenn sie überhaupt existiert hat, um 499 auf die Welt kam und die bereits als kleines Kind gestorben sein muss. Theodora und ihre Schwestern gehörten durch ihre Eltern zur untersten sozialen Klasse in Konstantinopel. Ihr Vater Acacius oder Akakios verdiente den Lebenshalt für sich und seine Familie nämlich als Bärenwärter der grünen Zirkuspartei. Wie die Römer in der Antike liebten die Byzantiner die Pferde- und Wagenrennen, die im Hippodrom, der riesigen Pferderennbahn im antiken Konstantinopel, stattfanden. Während es zur Zeit der römischen Kaiser Caligula und Claudius im ersten Jahrhundert nach Christi in dieser Disziplin vier gegeneinander antretende Parteien gab, die man anhand ihrer gewählten Farben Weiß, Rot, Grün und Blau leicht unterscheiden konnte, gab es zur Zeit von Theodora im Prinzip nur noch die Partei der Grünen und die Partei der Blauen. Jene stellten mittlerweile große, mächtige Körperschaften dar, die nicht mehr nur für die Pferde- und Wagenrennen im Hippodrom, sondern auch für die dort stattfindenden Akrobatik- und Gymnastikvorführungen, die Boxkämpfe, die Tiervorführungen, die Pantominedarstellungen, die Theateraufführungen und für alles, was mit Tanz und Musik zu tun hatte, verantwortlich waren.

Theodoras Vater, der sich mit dem Titel „Meister der Bären“ schmücken durfte, ließ seine Bären gegeneinander kämpfen oder Jagd auf andere Tiere und vielleicht auch auf Menschen machen oder ließ sie akrobatische Kunststücke z. B. Tänze aufführen. Ihre Mutter war mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Tochter eines ehemaligen Bärenwärters, die ihrem Gatten durch ihre Heirat vielleicht überhaupt erst ermöglicht hatte, Bärenwärter in der Zirkuspartei der Grünen zu werden. Für Theodora und ihre Schwestern stellte somit das Hippodrom, der gesellschaftliche Mittelpunkt von Konstantinopel, das Zuhause dar. Hier wurden schließlich die großen Feste ihrer Zeit gefeiert, seien es der jährliche Geburtstag der Stadt am 11. Mai, die Geburtstage der oströmischen Kaiser und Kaiserinnen, die Geburt von kaiserlichen Kindern, die Kaiserkrönungen und die großen militärischen Erfolge. Zu diesen Anlässen fand sich nämlich stets die gesamte Bevölkerung – die Reichen und die Armen – im Hippodrom ein. Dabei konnten der Kaiser und seine Familie die Pferderennbahn direkt von ihrem riesigen Palastkomplex betreten, der sich östlich und südlich von jener befand. Während Letztere in der kaiserlichen Loge Platz nahmen, ließen sich die Senatoren und die hohen Würdenträger auf ihren Marmorsitzen in der unmittelbaren Nähe der Rennbahn und die Kaufleute, die Handwerker und die Tagelöhner auf denen ihnen zur Verfügung stehenden Holzbänken nieder. Die Frauen und die Kinder hatten sich mit den Stehplätzen ganz oben zu begnügen. Das Hippodrom war jedoch nicht nur ein Platz des Vergnügens, sondern auch des Protestes. Hier fanden sich die Byzantiner nämlich auch ein, wenn sie dem Kaiser ihre Unzufriedenheit wegen korrupter Beamten oder wegen zu hoher Besteuerung lautstark kundtun wollten.

Sehr schwere Zeiten standen Theodora und ihrer Familie bevor, als ihr Vater bereits um 502 eines natürlichen Todes starb. Zu diesem Zeitpunkt war Theodora ungefähr fünf Jahre alt. Ihre Mutter hatte sich, um für sich und ihre Kinder sorgen zu können, sogleich erneut zu vermählen. Da man durch die Heirat mit ihr der nächste Bärenwärter der grünen Zirkuspartei werden konnte, fand sich auch schon bald ein neuer Gatte ein. Der Tanzmeister der Partei der Grünen, ein Mann namens Asterius, der Theodoras Stiefvater als Bärenmeister zu bestätigen hatte, hatte sich allerdings von jemandem bestechen lassen, den er schließlich zum nächsten Bärenmeister erklären ließ. Nun sah es für Theodoras Familie finanziell sehr schlecht aus. Verhungert wären sie jedoch nicht. Denn seit dem Jahr 330 bis zum Jahr 629 stand allen Einwohnern von Konstantinopel, ob sie reich oder arm waren, die Grundversorgung mit Brot und anderen Nahrungsmitteln wie übrigens auch die öffentliche Unterhaltung mit Spielen kostenlos zur Verfügung. Wer seinen Wohnsitz in dieser Stadt nachweisen konnte, erhielt z. B. eine Bronzemarke, die er nur vorzeigen musste, um kostenloses Brot zu erhalten.

Aber für die notwendige Bekleidung und für die Unterkunft musste man selbst sorgen. Theodoras Mutter erschien daher mit ihren zwei oder drei Töchtern, deren Köpfe und Hände mit Girlanden geschmückt worden waren, bei der nächsten festlichen Gelegenheit, als sich das Hippodrom erneut mit Menschen gefüllt hatte, vor dem gesamten Publikum als Hilfesuchende. Und sie hatte in der Tat Glück mit diesem Auftritt. Denn sie konnte mit ihren hübschen Töchtern die Sympathie der blauen Zirkuspartei gewinnen, deren Bärenmeister ebenfalls vor kurzem gestorben war. Theodoras Stiefvater wurde somit der nächste „Meister der Bären“ der blauen Zirkuspartei. Von nun an war Theodora eine leidenschaftliche Anhängerin der Blauen. Sie sollte nie wieder vergessen, wie schlecht die grüne Zirkuspartei ihre verwitwete Mutter behandelt hatte, und dass es die Partei der Blauen war, die ihrer Familie in dieser schwierigen Zeit geholfen hatte.

Mittlerweile gehörte jeder Bewohner von Konstantinopel entweder der Partei der Blauen oder der Partei der Grünen an. Um nicht völlig schutzlos zu sein, hatte man sich einer dieser beiden Parteien zuwenden müssen. Außerdem konnte man sich ohne die Unterstützung seiner Partei auch nicht mehr um ein ziviles oder geistliches Amt bewerben. In Konstantinopels Straßen und Gassen und auch in den Provinzen herrschte der Terror. Niemand war mehr seines Lebens sicher. Die Partei der Grünen konnte als ihren berühmtesten Anhänger den Kaiser Anastasius I. (Regierungszeit von 491 bis 518) und die Partei der Blauen den Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache, Justin († 527), und dessen Neffen Justinian nennen. Wie unsicher und gefährlich das Leben geworden war, beschrieb der Zeitgenosse Prokopios von Caesarea: Eine Frau, elegant gekleidet, befand sich mit ihrem Gatten in einem Boot auf dem Weg zu einem Außenbezirk in Konstantinopel auf dem gegenüberliegenden Festland. Plötzlich wurde das Boot von Parteigängern der Blauen übernommen. Die Frau wurde gewaltsam von ihrem Mann entfernt und in das Boot der Angreifer gezerrt. Diese zog es jedoch vor, anstatt von ihren jungen Entführern entehrt zu werden, sich in die Fluten zu stürzen und zu ertrinken. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, With an English Translation by H. B. Dewing, Volume VI, London and Cambridge 1935, p. 89).

Bei diesem Kampf der Parteien untereinander schienen die Blauen schon bald die Oberhand gewonnen zu haben, denn sie waren schließlich in der Lage, den Palast, den Senat und die großen Städte im Osten einzuschüchtern. So hatte der Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache, Justin, seinen Aufstieg zum Kaiser im Jahr 518 z. B. der Partei der Blauen zu verdanken. Hinter der Partei der Blauen standen übrigens die konservativen, orthodoxen Landbesitzer der Außenbezirke und die Verpächter von Land, Minen, Mühlen etc., hinter der Partei der Grünen die Händler und Handwerker, von denen viele syrischer Abstammung waren und die, religionsmäßig betrachtet, den Monophysiten wohlgesinnt waren.

Für Theodora und ihre ältere Schwester Comito sollten die Jahre nach dem Tod ihres Vaters sehr schwierig werden. Sie müssen bereits kurze Zeit später ihre Mutter und ihre jüngste Schwester Anastasia, wenn, wie bereits erwähnt, jene überhaupt existierte, verloren haben. Nun hatten sie, obwohl sie noch Kinder waren, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Schon früh traten sie daher im Theater auf und verdienten sich ihr Geld auch durch Prostitution. Zwischen Schauspielerinnen und Prostituierten wurde zudem zur Zeit von Theodora kein großer Unterschied gemacht. Beide waren bereit, ihre Körper zu verkaufen, beide befanden sich, gesellschaftlich betrachtet, ganz unten. Prokopios von Caesarea beschreibt das Leben von Theodora als Kind sehr ausführlich. Hat er wirklich gewusst, was diese persönlich durchmachen musste, oder beschreibt er nur, wie allgemein das Leben eines Mädchens verlief, dessen Schicksal es war, in der untersten Klasse des oströmischen Reiches geboren worden zu sein? So hatte Theodora laut Prokopios ihren Leib bereits verkaufen müssen, als sie noch nicht einmal 12 Jahre alt war bzw. die Menstruation aufwies. Mit diesen jungen Mädchen schliefen die Freier laut unserem einzigen Gewährsmann wie mit einem Jungen. Dementsprechend hätte Theodora sich bereits in diesen jungen Jahren zum analen Geschlechtsverkehr zur Verfügung stellen müssen. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id., p. 105).

Als Theodora das Alter von 12 Jahren erreicht hatte bzw. ihre Menstruation eingetreten war, stellte sie schließlich ihren gesamten Körper zum Verkauf, bot also wie alle Prostituierten ihrer Zeit vaginalen, analen und oralen Sexualverkehr an, und begann zusätzlich, als Schauspielerin auf der Theaterbühne aufzutreten. Hier konnte man schließlich ebenfalls ihren fast nackten Körper bewundern – Schauspielerinnen in dieser Zeit durften wie unsere heutigen nicht spröde sein ‒, aber sie konnte auch ihr großes Talent als Künstlerin, besonders in Komödien, zur Schau stellen. Theodora soll nämlich eine hervorragende Schauspielerin gewesen sein, die man für außergewöhnlich klug, witzig und charmant hielt. Ihre andere Seite hatten ihre Zeitgenossen zu diesem Zeitpunkt noch nicht an ihr entdeckt: Theodora war auch ehrgeizig, beharrlich, scharfsinnig, zielstrebig, nicht leicht unterzukriegen und sehr lernfähig. Als Schauspielerin soll sie großen Erfolg gehabt haben, da sie ihr Publikum leicht zum Lachen brachte, denn sie war in der Lage, hervorragend zu spotten und zu sticheln. Nebenbei bemerkt, die Schauspielerinnen zu ihrer Zeit durften nicht völlig nackt auf der Bühne erscheinen. Sie hatten ihren Intimbereich und ihre Leisten mit einem Gürtel zu bedecken.

Auch als Prostituierte soll Theodora sehr begehrt gewesen sein. Sie soll auf fast keinem der vielen ausschweifenden Feste in Konstantinopel gefehlt haben und soll außerdem unzählige Liebhaber gehabt haben. Prokopios von Caesarea, der um 550 Theodora nicht mehr wohlgesinnt war, bediente sich schließlich bei der Beschreibung des Lebens der Letzteren vermutlich auch der Biografie der römischen Kaiserin Valeria Messalina († 48 n. Chr.). So lesen wir bei ihm nämlich, dass Theodora es liebte, sich mit zehn oder noch mehr Jugendlichen zu einem gemeinsamen Abendessen aufzumachen, um mit jenen die ganze Nacht über sexuellen Verkehr zu haben. Wenn jene dann zu erschöpft für einen weiteren geschlechtlichen Akt gewesen seien, dann hätte Theodora es mit deren Begleitern – vielleicht weiteren 30 Männern ‒ getrieben. Ihre Lüsternheit hätte (wie im Fall von Valeria Messalina) nicht gestillt werden können. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id., p. 107).

Durch diesen häufigen Geschlechtsverkehr soll sie auch viele Male schwanger geworden sein. Aber sie sei mit einer einzigen Ausnahme stets in der Lage gewesen, die Kinder rechtzeitig abzutreiben. Diese Ausnahme war eine Tochter, die um 512 bis 515 auf die Welt kam und deren Namen wir nicht kennen. Die Historikerin Theresa Earenfight vermutet, dass es vielleicht noch einen Sohn gegeben hätte, der jedoch bereits kurz nach seiner Geburt gestorben sei. (in: Theresa Earenfight, Queenship in Medieval Europe, London 2013, p. 48). Prokopios von Caesarea berichtet uns zudem noch von einem weiteren Sohn von Theodora, der Johannes hieß und der von seinem Vater mit nach Arabien, wo er beruflich tätig war, genommen und aufgezogen worden wäre. Als der Vater im Sterben gelegen hätte, hätte er seinem Sohn erzählt, dass er ein Kind der Kaiserin Theodora wäre. Nach dem Tod seines Vaters wäre Johannes daher nach Konstantinopel gegangen und hätte jedem erzählt, er wäre der Sohn der Kaiserin Theodora, die ihn daraufhin zu sich hätte rufen lassen. Danach hätte man nie wieder etwas von ihm gehört. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id., p. 203). Da Theodora nie geleugnet hatte, dass sie in der Tat vor ihrer Begegnung mit ihrem kaiserlichen Gatten eine Tochter auf die Welt gebracht hatte, handelte es sich mit Sicherheit bei diesem Johannes nicht um ihren Sohn. Warum sollte sie sich zu ihrer Tochter bekennen und nicht zu ihrem angeblichen Sohn? Es sieht ganz so aus, dass dieser Johannes, wenn es ihn überhaupt gegeben hat, ein Betrüger war, der mit seiner Geschichte, er wäre der Sohn der Kaiserin, nur Geld machen wollte.

Und dann kam der große Wendepunkt in Theodoras Leben. Um 520 folgte sie einem ihrer reichen Liebhaber, einem gewissen Hekebolos oder Hecebolus, der ursprünglich aus Tyrus stammte und in Konstantinopel einen hohen staatlichen Posten einnahm, nach Nordafrika, da dieser dort die Position des Gouverneurs von Pentapolis antreten sollte. Weit weg von der Heimat setzte Letzterer sie hier nach einem fürchterlichen Streit eines Tages plötzlich völlig mittellos vor die Tür. Theodora befand sich nun in einer sehr prekären Situation. Sie besaß kein Geld, um sich mit dem Notdürftigsten zu versorgen, und sie besaß hier in der Fremde auch keine Verwandten und/oder Freunde, die sie um Hilfe bitten konnte. In ihrer Not machte sie sich nach Alexandria auf und fand dort Aufnahme und Hilfe bei den zwei bedeutendsten monophysitischen Geistlichen ihrer Zeit, dem Patriarchen Timotheus III. (oder IV.) († 535) und dem Asketen Severus von Antiochia († 538). Aufgrund des Einflusses dieser beiden Männer änderte Theodora ihr Leben vollständig. Den Patriarchen Timotheus III. (oder IV.) betrachtete sie sogar fortan als ihren geistlichen Vater, der vermutlich auch die in ihrem Leben so fehlende väterliche Figur ersetzte. Sie nahm deren Glauben an und wurde eine überzeugte und leidenschaftlich engagierte Monophysitin, die sich frei- und bereitwillig in deren Dienste stellte.

Im 6. Jahrhundert n. Chr. gab es im Christentum noch immer viele verschiedene Glaubensvorstellungen. Die Monophysiten bestritten z. B. die menschliche Natur von Jesus Christus. Ihrer Meinung nach war Letzterer wie sein Vater ein rein göttliches Wesen. Diese Glaubensauffassung war jedoch bereits im vierten ökumenischen Konzil in Chalkedon im Jahr 451 von den orthodoxen Patriarchen als ketzerisch oder häretisch bezeichnet worden. Jesus Christus war ihrer Meinung nach „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“. Laut ihnen hatte Jesus Christus also zwei Naturen: Er war Gott und er war Mensch. Die Weigerung der Monophysiten, der Lehrmeinung der orthodoxen Chalkedonier zu folgen, führte schließlich zu einer dauerhaften Spaltung des Christentums. Die Monophysiten hatten sich nach der Verkündung dieses Konzils hauptsächlich in Syrien und in Ägypten niedergelassen, wo sie eine sehr große Anhängerschaft besaßen und wo sie ihre koptische Kirche gründeten, die es noch heute dort gibt. Hier, fernab von Konstantinopel, waren sie zu mächtig und zu einflussreich, um von den orthodoxen Chalkedoniern angegriffen werden zu können. Diese Erfahrung musste auch Papst Hormisdas († 523) machen, als er dem oströmischen Kaiser Anastasius I. befahl, den monophysitischen Patriarchen Timotheus III. (oder IV.), Theodoras geistlichen Vater, seines Amtes zu entheben. Die Macht des Papstes in Rom reichte nicht bis nach Ägypten, und außerdem war der oströmische Kaiser Anastasius I. von seiner religiösen Auffassung her ebenfalls ein Monophysit.

Probleme bekamen die Monophysiten erst, als der oströmische Kaiser Anastasius I. in der Nacht des 9. Juli 518 im Alter von 87 Jahren starb. Sein Nachfolger wurde nämlich der Befehlshaber seiner kaiserlichen Leibwache, Justin, der dem chalkedonisch-orthodoxen Glauben anhing und der sogleich den Befehl erteilte, die Monophysiten zu verfolgen und zu töten. (in: James Allan Evans, The Empress Theodora – Partner of Justinian, Austin 2002, p. xi). Der Einzige, der Einfluss auf den neuen oströmischen Kaiser Justin I. nehmen konnte, war dessen Lieblingsneffe Justinian. Damals lautete sein Name noch Petrus Sabbatius. Erst seit seiner Thronbesteigung im Jahr 527 nannte er sich „Flavius Petrus Sabbatius Justinianus“ oder kurz „Justinian“. Wir werden ihn jedoch fortan bereits nur noch Justinian nennen. Justinian, der ungefähr 15 Jahre älter als Theodora war, stellte laut Prokopios von Caesarea den eigentlichen Herrscher von Konstantinopel dar. Sein Onkel sei zu dieser Zeit bereits „außerordentlich einfältig“ gewesen – er war in der Tat bereits senil geworden –, so dass der Geschichtsschreiber ihn mit einem „dummen Esel“ verglich, „der dazu neigte, dem Mann zu folgen, der die Zügel zieht [also seinem Neffen Justinian]. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id., p. 91).

Um nun den wichtigsten Mann in Konstantinopel für sich zu gewinnen, benutzten die Monophysiten ihren neuen Schützling Theodora, die sogleich von Alexandria nach Antiochia geschickt wurde. Dort hatte diese sich zuerst einmal mit einer jungen Tänzerin, die den Namen Macedonia trug, anzufreunden. Ihre Talente als Schauspielerin und ihre Vergangenheit als Prostituierte waren ihr hierbei höchst dienlich. Macedonia, die wie Theodora eine Anhängerin der Partei der Blauen war, betrachtete Letztere schon bald als eine Gleichgesinnte und Vertraute, was sehr wichtig war, denn Macedonia war als Spionin für Justinian tätig und sammelte Informationen über Feinde des neuen Kaisers Justin I., die sie an dessen Lieblingsneffen weiterzureichen hatte. Durch die Vermittlung von Macedonia trat Theodora bald ebenfalls in die Dienste von Letzterem ein. Bereits im Jahr 521 muss der Kontakt zwischen Theodora und Justinian schon so eng gewesen sein, dass Theodora dem Sohn eines vom Patriarchen Paul „dem Juden“ von Antiochia ermordeten monophysitischen Erzdiakons, der bei ihr Hilfe suchte, versprechen konnte, sich für ihn bei Justinian einzusetzen. (in: James Allan Evans, id., p. 71).

Wenig später, um 522, besorgten ihre monophysitischen Freunde ihr ein kleines Haus in der Nähe des Kaiserpalastes in Konstantinopel, wo sie sich niederließ und ihre Tage dort angeblich nur noch mit dem Spinnen von Wolle verbracht haben soll. Ja, der Patriarch Timotheus III. (oder IV.) und der Asket Severus von Antiochia konnten sehr stolz auf ihren Schützling Theodora sein, der sie im Prinzip den Auftrag gegeben hatten, ihren Leib nun zum Wohle aller Monophysiten jenem Justinian, der mittlerweile bereits um die 40 Jahre alt war, anzubieten. Mit was wohl niemand gerechnet hatte, war, dass der kaiserliche Lieblingsneffe sich vollkommen in Theodora verliebte. Es gab für ihn nur noch Theodora und keine andere Frau mehr. Sie sollte seine große und einzige Liebe in seinem Leben werden. Als seine Mätresse lebte diese mit ihm bereits wenig später im Palast von Hormisdas am Ufer des Marmarameer. Laut Robert Browning wäre in dieser Anfangszeit ihrer Beziehung ein Kind, eine Tochter, geboren worden, die bereits in sehr jungen Jahren gestorben wäre. (in: Robert Browning, Justinian and Theodora, London 1987 (revised edition), p. 40). Diese Behauptung kann jedoch nicht mit der Hilfe von zeitgenössischen Quellen verifiziert werden.

der oströmische Kaiser Justinian I.
Der oströmische Kaiser Justinian (links). Mosaikdarstellung aus dem Jahr 547. Ravenna, die Kirche San Vitale.

Um 523 war Justinian in der Lage, seinen Onkel Justin zu überreden, Theodora in den Rang einer Patrizierin zu erheben. Der Einfluss der Letzteren auf Justinian war bereits nicht mehr zu übersehen. Die beiden vertrauten und respektierten sich zudem mittlerweile gegenseitig vollkommen. Politische und religiöse Probleme im oströmischen Reich mit Theodora zu besprechen, wurde für Justinian zu einer Selbstverständlichkeit, denn er hielt sie für sehr intelligent und legte großen Wert auf ihre Meinung. Es ist in der Tat schwer zu sagen, was ihn an Theodora mehr faszinierte: ihre außergewöhnliche Schönheit oder ihre große Klugheit. Von Johannes von Ephesos erfahren wir, dass der monophysitische Bischof Mare von Amida, nachdem er im Jahr 521 von seinem Bischofssitz verwiesen worden war, seinen Diakon und Notaren Stephan im Jahr 523 zu Theodora nach Konstantinopel schickte, um in dieser Angelegenheit ihre Hilfe zu erbitten. Und in der Tat konnte Letztere es durchsetzen, dass jener wie auch andere im Jahr 521 vertriebene monophysitische Bischöfe ein neues Zuhause in Alexandria fanden.

Wenn es nur nach Justinian gegangen wäre, hätte er seine Theodora sofort geheiratet, obwohl er wusste, dass sie einst Prostituierte gewesen war. Aber seine Tante Lupicina († 524), die Gattin seines Onkels Justin, die sich seit dessen Thronbesteigung Euphemia nennen ließ, war gegen diese Eheschließung, was auf wenig Verständnis bei Justinian treffen sollte, denn schließlich gehörte seine Familie einst ebenfalls zu der unteren Klasse der oströmischen Gesellschaft. Sein Onkel Justin I., der um 450 das Licht der Welt erblickt hatte, war in seinen jungen Jahren ein illyrischer Bauer gewesen, der in der Provinz Thracia in einem Dorf namens Vederiana oder Bederiana ein kärgliches Leben geführt hatte, bis er sich entschlossen hatte, zusammen mit zwei anderen jungen Bauern die Heimat zu verlassen und sich nach Konstantinopel zu begeben. Hier waren alle drei in die Armee eingetreten und hatten letztendlich das große Glück, vom oströmischen Kaiser Leo I. († 474) höchstpersönlich wegen ihrer Körpergröße und ihrer enormen Körperkräfte zu Mitgliedern seiner Palastwache bestimmt worden zu sein. Justin war schließlich unter dem späteren oströmischen Kaiser Anastasius I. sogar bis zum Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache aufgestiegen.

Von den historischen Quellen erfahren wir, dass der oströmische Kaiser Justin I. als junger Mann intelligent, mutig und ehrgeizig war. Seine Familie bedeutete ihm zudem sein ganzes Leben lang sehr viel. Mit seiner Gattin Lupicina bzw. Euphemia hatte er zwar selbst keine Kinder, aber er besaß vier Neffen und zwei Nichten, die Söhne und Töchter seiner zwei Schwestern. Seine Neffen waren Germanus (um 495/500-550), ein brillanter und erfolgreicher Feldherr, und dessen jüngere Brüder Justin († vor 550) und Boraides († vor 548), die wie ihr älterer Bruder ebenfalls die Militärlaufbahn beschritten hatten, und der hochintelligente Petrus Sabbatius bzw. Justinian († 565), der einzige Sohn seiner Schwester Vigilantia, der um 482 im Dorf Tauresium in der Nähe des Dorfes seines Onkels Justin geboren worden war und der als sehr wissbegierig galt und Stunden über seinen Büchern verbringen konnte und der von seinen vier Neffen am wenigsten Interesse an einer militärischen Ausbildung zeigte (siehe die Stammtafel der oströmischen Kaiser Justin und Justinian). Seine Gattin Lupicina bzw. Euphemia kam wie Theodora aus der untersten Klasse der oströmischen Gesellschaft. Sie war eine „Barbarin“, also keine Griechin oder Römerin, und stammte aus der Sklavenschicht und konnte weder lesen noch schreiben. Man sagte, dass Justin sie gekauft und zu seiner Geliebten gemacht hätte, bevor er sie schließlich geheiratet hätte. Wenn also eine Person aus Justinians Familie Verständnis für Theodora hätte haben müssen, dann hätte es seine Tante Lupicina sein müssen. Sie schien jedoch zu den Menschen zu gehören, die ihre eigene Herkunft bzw. Vergangenheit selbst sehr schnell vergessen konnten. Justinian und Theodora hatten daher erst nach ihrem Tod, der im Jahr 524 erfolgte, den Bund fürs Leben schließen können.

Was wissen wir über Theodora und Justinian? Was für Menschen waren sie gewesen? Wie beschrieben ihre Zeitgenossen sie? Theodora und Justinian waren von ihrer Persönlichkeit her eigentlich grundverschiedene Menschen. Aber zusammen bildeten sie gerade deswegen ein unschlagbares Team. Sie wiesen in der Tat nur einige wenige Gemeinsamkeiten auf: Beide waren loyale Anhänger der Partei der Blauen, beide waren, als sie sich kennenlernten, bereits tiefreligiös, und beide waren sehr verliebt ineinander. Aber hier hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Theodora war eine leidenschaftliche Anhängerin der Monophysiten; Justinian wie auch sein Onkel Justin und dessen Gattin Lupicina/Euphemia betrachteten sich hingegen als entschiedene Unterstützer der orthodoxen Chalkedonier, waren also den Monophysiten im Prinzip feindlich gesinnt.

der römische Kaiser Domitian
Der römische Kaiser Domitian. Rom, Kapitolinische Museen.

Von Prokopios von Caesarea, der Justinian persönlich kannte, erfahren wir, wie jener äußerlich ausgesehen hat: Er soll ein schöner Mann von mittlerer Größe gewesen sein. Er sei nicht schlank, sondern „etwas fleischig“ und sein Gesicht rund und immer leicht gerötet gewesen. In seiner Position als Sekretär und Rechtsberater des Feldherrn Belisarius hatte Prokopios in Rom einst eine Büste oder Statue des römischen Kaisers Domitian (51 – 96) gesehen, dessen Gesichtszüge ihn sehr an die von Justinian erinnert hätten. Charaktermäßig hatte Prokopios jedoch nichts Positives über Justinian zu sagen, den er für den Habgierigsten, Niederträchtigsten, Korruptesten, Unmenschlichsten und Schlechtesten aller römischen Kaiser hielt. Er beschrieb ihn als bösartig, grausam, sehr habgierig, als einen Lügner, als listig, korrupt und bestechlich – bei ausreichender Bezahlung sei bei ihm alles käuflich gewesen –, hinterhältig – dabei sei er selbst leicht zu täuschen gewesen –, als unaufrichtig, streitsüchtig, heuchlerisch, schlau, intelligent – er besaß ein sehr gutes Gedächtnis für Details –, sehr ehrgeizig, sehr geduldig – er plante viele Jahre im Voraus –, als menschenscheu und sehr introvertiert, arbeitswütig, sehr diszipliniert und sehr kontrolliert. Laut Prokopios hätte Justinian nicht die geringste Gewissensbisse gehabt, ungerechtfertigte Morde zu begehen und das Geld und den Privatbesitz anderer Menschen für seine eigenen Zwecke rücksichtslos einzutreiben. Um Letzteres zu bewerkstelligen, hätte er jenen Verbrechen angehängt, die sie überhaupt nicht begangen hätten. War Prokopios oder einer Person, die ihm sehr nahestand, von Justinian um 550 ein Verbrechen angehängt worden, das sie nicht begangen hatten, und war dies der Grund gewesen, dass der Geschichtsschreiber in seinem Spätwerk den Kaiser und seine Gattin Theodora abgrundtief zu hassen begann? Denn durch andere Zeitgenossen wissen wir, dass Prokopios sich bei der Beschreibung von Justinian und Theodora nicht immer an die Wahrheit gehalten hatte.

Die Justinian Besuchenden sollen laut Prokopios überdies nicht in der Lage gewesen sein, der Mimik seines Gesichtes entnehmen zu können, ob er im Augenblick oder durch die Nachrichten, die man ihm brachte, wütend, erfreut oder verzweifelt war. Andererseits heißt es, dass seine Stimmung sehr schnell wechseln konnte. Wurde man gerade von ihm noch gelobt, beschimpfte er einen nur wenig später als einen Halunken. Und er war ein geborener Schauspieler, der weinen und lachen konnte, je wie es die Situation, in der er sich gerade befand, erforderte. An Versprechungen und Schwüre, die er gab, hielt er sich nie. Er sei laut Prokopios überdies ein unbeständiger, launenhafter und wankelmütiger Freund gewesen, auf den man sich nicht verlassen durfte, und er war nicht nur ein Einzelgänger, der sich am wohlsten fühlte, wenn keine anderen Menschen um ihn herum waren, sondern auch ein Asket, was den Schlaf und die Ernährung betraf. Er benötigte nämlich von diesen sehr wenig. Häufig sei es vorgekommen, dass er zwei Tage und zwei Nächte lang keine Nahrung zu sich genommen hätte. Er kam zudem mit sehr wenig Schlaf aus. Seine Diener sahen ihn auch nachts sehr häufig, unruhig durch die Palasträume laufend. In der Tat war er ein sehr hektisch-nervöser Mensch, der nie für längere Zeit sitzen konnte. Ständig war er in Bewegung, und selbst seine Mahlzeiten nahm er häufig im Stehen zu sich. Außerdem machte Prokopios Justinian für die vielen, verheerenden Kriege in seiner Zeit verantwortlich. Die Kriege, die er gegen die Perser, die Vandalen und die Ostgoten geführt hätte, hätten unzähligen Menschen das Leben gekostet: „Daher war die ganze Erde während seiner Regierungszeit kontinuierlich mit menschlichem Blut getränkt ...“ (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id. , p. 221). Justinian, der dem Militärwesen nicht viel abgewinnen konnte und der selbst nie persönlich als Feldherr an einem seiner vielen Kriege teilgenommen hatte, sei von Natur aus eigentlich ein ängstlicher Mensch gewesen, der in kritischen Situationen schnell mutlos wurde. Im Gegensatz zu Theodora, die in einer Krise nie die Nerven verlor!

Andere Zeitgenossen, die Justinian ebenfalls persönlich begegnet waren, beschrieben ihn hingegen viel positiver. Er sei liebenswürdig, zugänglich, sehr belesen, sehr kultiviert und stets bereit gewesen, etwas Neues hinzuzulernen. Ganz besonders hätte er sich für die griechischen Kirchenväter interessiert, deren Werke er sehr gut kannte. Er habe sich schließlich als ein von Gott Auserwählter gefühlt und es als seine wichtigste Aufgabe betrachtet, über die Moral seiner Geistlichen und den Glauben seiner Untertanen zu wachen. Als im ersten Jahr seiner Herrschaft, im Jahr 527, die beiden Bischöfe Esaias von Rhodos und Alexander von Diospolis in Thrakien wegen ihrer Homosexualität aus ihren hohen geistlichen Ämtern entlassen wurden, ließ Justinian sie sogleich verhaften, kastrieren und durch die Straßen von Konstantinopel schicken, in denen die Zuschauer sie zusätzlich noch mit Unrat bewerfen durften. Justinian fühlte sich zudem verpflichtet, alle Ketzer auszurotten oder ihnen zumindest das Leben so schwer wie möglich zu machen. So konnten jene unter ihm als Kaiser nicht mehr erben, vor Gericht nicht mehr Zeugnis ablegen, bestimmte Staatsämter nicht mehr besetzen und ämtermäßig nicht mehr aufsteigen. Die einzigen Häretiker, die er duldete, waren die arianischen Goten, die er als Heerführer benötigte, und die Monophysiten, von denen es einfach zu viele und zu einflussreiche gab. Außerdem hatten die Letzteren in Theodora eine mächtige Fürsprecherin. Im Gegensatz zu seiner Tante Lupicina/Euphemia vergaß Justinian jedoch nicht seine niedere Herkunft. Die hohen staatlichen und militärischen Posten in seinem Kaiserreich besetzte er mit Leuten, die hierfür das nötige Talent besaßen. Ihr Rang und ihre Herkunft interessierten ihn nicht. Im Gegensatz zu Prokopios’ Aussage, er sei nicht vertrauenswürdig gewesen, machten viele seiner Mitarbeiter die Erfahrung, dass, wenn sie loyal zu ihm standen, sie in ihm einen sehr guten Dienstherrn hatten, der sich auch stets für sie einsetzte.

Was Theodora betrifft, so berichtet uns Prokopios von Caesarea in seinem Spätwerk „Anekdota oder Die Geheimgeschichte“, dass sie eine attraktive Frau gewesen sei. Er beschreibt sie hier als auffallend schön und von kleiner Statur, aber auch als sehr neidisch, gehässig, unbescheiden, unzüchtig, sehr habgierig, verlogen und spöttelnd. Sie hätte sich überdies vollkommen dem Vergnügen hingegeben. Ihr Blick mit den zusammengezogenen Augenbrauen sei außerdem sehr stechend gewesen. Er beschuldigte sie auch, Mordaufträge z. B. gegen die ostgotische Königin Amalasuntha erteilt, Nonnen zur Prostitution gezwungen, ihren Untertanen die Ehre genommen und Ehebruch erlaubt zu haben. Zusammen mit ihrem Liebhaber und späteren Gatten Justinian hätte sie den Staatsschatz beraubt und die öffentlichen Posten oder Ämter an den Meistbietenden verkauft.

In einem seiner früheren Werke, „De aedificiis“, spricht er hingegen viel positiver über sie: „... denn für einen Sterblichen würde es ganz unmöglich sein, ihren [Theodoras] Charme mit Worten zu beschreiben ...“ (in: De aedificiis 1.11.8). Theodora wurde von ihren Zeitgenossen und ihren Untertanen entweder geliebt oder gehasst. Sie besaß eine schnelle Auffassungsgabe, eine hohe Intelligenz, ein hervorragendes Gedächtnis und eine große Schlagfertigkeit. Sie musste nicht erst nach Worten suchen. Ihre Jahre als Schauspielerin auf der Theaterbühne waren nicht umsonst gewesen. Auftritte in der Öffentlichkeit bereiteten ihr daher im Gegensatz zu Justinian keine Probleme. Das Leben als Mätresse von Letzterem und als spätere Kaiserin kostete sie voll aus. Sie genoss die langen Bäder nach dem Aufstehen und freute sich im Gegensatz zu Justinian sehr auf die täglichen Mahlzeiten, besonders das Mittag- und das Abendessen, denn sie liebte zu essen und zu trinken und sich, so oft sie konnte, auszuruhen. Im Gegensatz zu ihrem Gatten war sie nicht leicht zugänglich. Gerade die höchsten Beamten hatten häufig mehrere Tage warten müssen, bevor sie zu ihr vorgelassen wurden. Ihre schwierige Kindheit hatte sie selbstbewusst und gleichzeitig sehr sensibel werden lassen. Ihre Zeitgenossen schrieben ihr ein unermessliches Selbstbewusstsein zu. Sie hätte niemanden gefürchtet. Außerdem vergaß und vergab sie nie Ungerechtigkeiten, die ihr gegenüber begangen worden waren. Sie blieb in diesen Fällen unversöhnlich. Was wohl aus ihrem ehemaligen Liebhaber Hekebolos oder Hecebolus geworden war, der sie aus seinem Haus geworfen hatte? Ihren Feinden gegenüber war sie ein rücksichtsloser und gefürchteter Gegner, dem man nie drohen sollte. Wer es wagte, sie zu beleidigen oder zu verleumden, musste mit schweren Strafen rechnen wie z. B. Priskos, ein ehemaliger Konsul und kaiserlicher Sekretär, dessen Besitz konfisziert wurde und der schließlich zum Diakon geweiht und nach Kyzikos verbannt wurde. Andere, die ihr Herz gewonnen hatten, lernten sie hingegen als zuverlässige Freundin und Verbündete kennen. Ihre hohe Position, die sie nach ihrer eigenen Erfahrung, was es bedeutete, in der untersten Gesellschaftsschicht geboren worden zu sein, sehr schätzte, war sie nie wieder bereit aufzugeben. Daher baute sie für sich ein großes Spionagenetz auf, das sie über alles, was in und außerhalb von Konstantinopel geschah und gesprochen wurde, auf dem Laufenden hielt. Sie verleugnete zudem nie ihre Vergangenheit. Sie stand zu ihrer unehelichen Tochter wie zu ihren alten Freunden aus dem Theater, die sie regelmäßig zu sich in den Palast einlud. Theodora war, wie es viele Zeitgenossen erkannten, eine sehr gute Ergänzung zu Justinian. Während dieser im Fällen von Entscheidungen eher als vorsichtig, zaghaft und zögerlich beschrieben werden musste, galt Theodora als wagemutig, resolut, kühn und entscheidungsfreudig.

Nach dem Tod seiner Tante Lupicina/Euphemia und nachdem er im Jahr 524 oder 525 eine sehr schwere Krankheit überwunden hatte, hielten Justinian nichts und niemand mehr zurück, seine große Liebe Theodora zu heiraten, obwohl hierbei einige Hindernisse beseitigt werden mussten. Denn von Gesetzes wegen war eine Eheschließung zwischen Personen höheren Standes und Schauspielerinnen, auch ehemaligen, verboten, denn jenen war die „bürgerliche Ehrbarkeit“ abgesprochen worden. Aber Theodora war nicht nur Schauspielerin gewesen, sie hatte sich ihren Lebensunterhalt auch mittels der Prostitution verdient. Dabei legte man doch in der gesamten Antike so großen Wert auf die Jungfräulichkeit der Braut. Bereits ein Gesetz, das von Konstantin dem Großen († 337) eingeführt worden war, bestimmte, dass der Vater oder Vormund bei der eintretenden Heiratsfähigkeit seiner Tochter oder seines weiblichen Mündels gegenüber staatlichen Behörden beschwören musste, dass „die Jungfräulichkeit des Mädchens unberührt“ sei. Sollte sich in der Hochzeitsnacht das Gegenteil herausstellen, hatten der Vater bzw. der Vormund mit ihrer Verbannung und mit dem Einzug ihres gesamten Besitzes zu rechnen. Da die Jungfräulichkeit bei den Bräuten eine so große Rolle spielte, verheiratete man seine Töchter in der Antike auch schon mit 12 Jahren, oder wenn bei ihnen die Menstruation eintrat.

Doch Justinians Onkel, Justin I., hob das alte Gesetz, das Personen senatorischen Standes verbot, ehemalige Schauspielerinnen oder Mätressen/Prostituierte zu heiraten, kurz nach dem Tod seiner Gattin auf, und die beiden konnten entweder im Jahr 524 (in: Theresa Earenfight, id., p. 47) oder im Jahr 525 (in: Robert Browning, id., p. 41 und James Allan Evans, id., p. 20) heiraten. Ihre Eheschließung fand übrigens in der „älteren“ Hagia Sophia statt, deren Bau um 350 unter Constantius II. († 361), einem Sohn des Kaisers Konstantin des Großen, begonnen worden war und die in der Nika Revolte im Jahr 532 durch ein Feuer zerstört wurde. Die berühmte Hagia Sophia, die wir heute noch besuchen können, also die jüngere Version, wurde im Auftrag von Justinian erbaut. Sie konnte am 27. Dezember 537 von Letzterem und Theodora geweiht werden.

Die Reaktion von Justins Untertanen aus den höheren Gesellschaftsschichten bezüglich dieser Heirat kann man sich sehr gut vorstellen. Justinian hätte doch jede Frau zu seiner Gattin wählen können. Warum hatte er eine Frau gewählt, die nicht nur zu der untersten Gesellschaftsschicht von Konstantinopel gehörte, sondern auch noch der Schauspielerei und der Prostitution nachgegangen war; eine Frau, die keine klassische Bildung aufwies; eine Frau, die eine Monophysitin war; eine Frau, die eine reine Provokation für sämtliche Männer und Frauen der höheren Klassen sein musste. Aber für Justinian gab es nur eine einzige Frau, nämlich seine Theodora, die er heiraten wollte und die er für ein Geschenk Gottes hielt (in: Theresa Earenfight, id., p. 47). Der Name „Theodora“ bedeutet übrigens „ein Geschenk Gottes“. Mit Sicherheit hatte Theodora also diesen Namen erst frühestens seit ihrer Heirat oder wahrscheinlicher bei ihrer Krönung zur Kaiserin angenommen, wie es die Tradition bei den oströmischen Kaisern und ihren Gattinnen war. Die Gattin von Justin I. änderte bei dessen Kaiserkrönung ihren Namen von Lupicina in „Euphemia“ um, und Justinian hieß vor seiner Kaiserkrönung „Petrus Sabbatius“. Wie Theodora ursprünglich geheißen hat, wissen wir leider nicht. Es ist sehr gut möglich, dass ihre Mutter anstatt drei Töchtern nur zwei Töchter auf die Welt gebracht hatte, nämlich Comito und Anastasia, und dass es sich bei der Letzteren um unsere Theodora handelt. Denn über den weiteren Lebenslauf dieser angeblich dritten Tochter Anastasia sind im Gegensatz zu Comito keine Informationen zu finden. Wie Justinian selbst über seine Heirat mit Theodora dachte, erzählt uns erneut Prokopios von Caesarea: „Nachdem ich [Justinian] alle diese Angelegenheiten allein entschieden hatte und dann, nachdem ich als Partner, um mich zu beraten, meine frömmste Gattin genommen hatte, die mir von Gott gegeben wurde.“ (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id., p. xix).

Am 1. April 527 erhob der mittlerweile bereits schwer erkrankte oströmische Kaiser Justin I. seinen Lieblingsneffen zu seinem Mitregenten. Drei Tage später, am 4. April 527, wurden Justinian und Theodora in der (älteren) Hagia Sophia vom Patriarchen Epiphanus von Konstantinopel zum Kaiser und zur Kaiserin gekrönt. Als Justin I. am 1. August 527 starb, gab es somit bei der Thronbesteigung des nächsten oströmischen Kaisers keine Probleme. Justinian herrschte nun als gottähnliche Gestalt auf Erden über ein Gebiet, das Kleinasien bis zum Berg Ararat, das Heilige Land, Ägypten, das gesamte Griechenland, weite Teile des Balkans und später auch Süditalien und die beiden riesigen Städte Rom und Konstantinopel umfasste. Letztere Stadt wies im 6. Jahrhundert eine Bevölkerung von 500.000 bis zu einer Million auf.

Selbstverständlich profitierten von diesem gesellschaftlichen Aufstieg auch die Familienangehörigen und Freunde von Theodora. Wer mit ihr verwandt oder befreundet war, konnte nun auf einen lukrativen Posten am Hof und/oder eine vorteilhafte Heirat hoffen. So heiratete ihre ältere Schwester Comito ein Jahr später, im Jahr 528, einen alten Freund von Justinian, den bewährten thrakischen Feldherrn Sittas († 538). Ihre Hochzeit wurde in Konstantinopel im Palast von Antiochos in der Nähe des Hippodroms gefeiert. Um 529 ging aus dieser Beziehung eine Tochter hervor, die den Namen Sophia erhielt und die von Theodora und Justinian adoptiert wurde und bei ihnen aufwuchs. Denn Sophia, die später einen Neffen von Justinian, Justin II. (vor 520 – 578), ehelichte und die nach Theodora die nächste oströmische Kaiserin werden sollte (siehe die Stammtafel der oströmischen Kaiser Justin und Justinian und die Stammtafel der oströmischen Kaiserin Theodora), ließ laut Johannes von Ephesos stets verkünden, dass ihr Gatte Justin II. nur durch sie zum Kaiser erhoben werden konnte, das heißt, dass sie das Recht besaß, das Kaisertum an einen Mann ihrer Wahl zu vergeben: „Das Königtum gehörte ihr von Rechts wegen“. Dieses Recht konnte sie nur besitzen, wenn sie in der Tat von Justinian adoptiert worden war. Bei der Kaiserkrönung ihres Adoptivsohnes Tiberios Konstantinos († 582) im Jahr 578 gelobte Sophia: „Ich werde, solange wie ich lebe, niemals mein Königtum und meine Krone jemand anderem [als ihrem Adoptivsohn Tiberios Konstantinos] geben ...“ (in: Lynda Garland, Byzantine Empresses – Women and Power in Byzantium, AD 527-1204, London and New York 1999, pp. 40/52-53).

die oströmische Kaiserin Theodora mit ihrer Nichte Sophia und ihrer Schwester Comito
Theodora, ihre Nichte und Adoptivtochter Sophia und ihre ältere Schwester Comito (von links nach rechts). Mosaikdarstellung aus dem Jahr 547. Ravenna, die Kirche San Vitale.

Theodoras uneheliche Tochter konnte in die schwerreiche Familie des ehemaligen oströmischen Kaisers Anastasius I. hineinheiraten. Ihr Gatte Anastasius war der Sohn eines gewissen Probus und der Großneffe des Kaisers Anastasius I. Sie schenkte ihm drei Söhne: Anastasios (um 530 – nach 571), Johannes (nach 530 – nach 565) und Athanasios (nach 530 – nach 565). Ein Ururenkel von Anastasios, Erwig († 687), sollte König der Westgoten in Spanien werden (siehe die Stammtafel der oströmischen Kaiserin Theodora).

Theodoras Freundin Antonina, die ihren Lebensunterhalt bisher als Schauspielerin verdient hatte, wurde die Gattin eines weiteren engen, gutaussehenden Freundes von Justinian, des erfolgreichen thrakischen Feldherrn Belisarius (um 505 – 565). Ihr Vater und Großvater waren Wagenlenker gewesen, die auf den Pferderennbahnen in Konstantinopel und in Thessaloniki zu Hause waren. Ihre Mutter hatte sich ihren Lebensunterhalt als Schauspielerin und Prostituierte verdienen müssen. Antonina muss ungefähr so alt wie Theodora gewesen sein und hatte zum Zeitpunkt ihrer Heirat mit Belisarius, der einige Jahre jünger als sie war, bereits mehrere Kinder auf die Welt gebracht. Einer ihrer Söhne aus ihren früheren Beziehungen hieß Photius. Die Ehe zwischen Antonina und Belisarius konnte im Gegensatz zu der von Theodora und Justinian nicht als glücklich bezeichnet werden. Antonina betrog ihren Gatten, und es gab viele schreckliche Szenen und Auseinandersetzungen zwischen den beiden, die Theodora als gute Freundin zu schlichten versuchte.

Justinian hatte sich als Kaiser sehr viel vorgenommen:

  1. Er wollte seinem Reich zu seiner alten Größe verhelfen, was unzählige Kriege bedeutete unter anderem 527 gegen die Perser, von September 533 bis Ende März 534 gegen die Vandalen und seit 535 gegen die Ostgoten.
  2. Er wollte die Gesetze reformieren und setzte im Jahr 529 den Codex Constitutionem in Kraft, der die über die letzten Jahrhunderte chaotisch gewordene römische Gesetzgebung vereinfachte und der zu den großen Errungenschaften der Antike gehört und sogar Eingang in den Corpus Iuris Civilis, dem Korpus des bürgerlichen Rechts im heutigen Europa, fand.
  3. Er wollte das Geheimnis der Herstellung von Seide lüften, was ihm auch gelang. Angeblich sollen es Mönche gewesen sein, die einige Seidenraupen aus China herausschmuggeln konnten und Justinian schenkten. Nach dem Anpflanzen von Maulbeerbäumen, der Wirtspflanze der Seidenraupen, konnte endlich die Seidenherstellung im oströmischen Reich beginnen.
  4. Er wollte gegen die Homosexuellen und gegen die Astrologen vorgehen.
  5. Er wollte Konstantinopel durch neue Kirchen, Paläste, Bäder, Straßen und Brücken verschönern.

Gerade Letzteres war ihm eine Herzensangelegenheit, denn die Architektur war neben der Rechtsprechung seine zweite persönliche große Leidenschaft. Er suchte selbst die besten Techniker und Kunsthandwerker zur Verschönerung seiner Hauptstadt aus. Aber die Verwirklichung seiner vielen Pläne war nur durch die Erhöhung der Steuern seiner Untertanen möglich, was ihn sehr unbeliebt besonders bei den Reichen machte. Denn sein Prätorianerpräfekt und höchster Finanzberater Johannes der Kappadokier ließ jene, wenn sie die höheren Steuern nicht zahlen wollten, einsperren und sogar auspeitschen.

Theodora war ihm als Kaiserin zumindest theoretisch untergeordnet. So erschien ihr Bildnis nie auf Münzen, die unter Justinian I. herausgegeben worden sind. (in: James Allan Evans, id., p. 27). Praktisch sah es anders aus, denn er arbeitete sehr eng mit ihr zusammen und erklärte selbst immer wieder, dass er sich mit ihr, „der allerfrömmsten, von Gott verliehenen Gattin“, beraten hätte, so z. B. bei einem neuen Gesetz, das um 535 oder im Jahr 535 in Kraft trat und das den Kauf von öffentlichen Ämtern verbot. Mit diesem Gesetz wollten die beiden der Korruption einen Riegel vorsetzen, denn bisher konnten die reichen Leute sämtliche öffentlichen Ämter kaufen und dann ihre Dienste unter Bezahlung anbieten. Wer kein Geld besaß wie die ärmeren Untertanen des Kaiserpaares, war hierdurch schwer benachteiligt. In diesem neuen Gesetz war auch vorgeschrieben worden, dass die Gouverneure einen Eid auf Justinian und auf Theodora zu schwören hatten.

Jeder Untertan des neuen oströmischen Kaisers, ob reich oder arm, wusste, dass Theodora auch bei der Besetzung ziviler, militärischer und kirchlicher Ämter einen entscheidenden Einfluss hatte. Sie nahm schließlich regelmäßig an den Senatssitzungen und an den Sitzungen ihres Gatten mit seinen Beratern teil und beteiligte sich an den Diskussionen. Außerdem verhandelte sie ziemlich unabhängig mit Gesandten und Botschaftern und schloss mit diesen sogar Verträge. So bemühte sich Theodora, als im März 540 der Friede mit Persien endete, diesen zu verlängern. Sie schrieb deshalb an den persischen Minister Zabergan, dem sie in Konstantinopel einst persönlich begegnet war, dass er seinen Herrn, den persischen König Chosroes Anoshirvan, von einem Krieg gegen das oströmische Reich abraten sollte: „Denn ich gelobe, dass, wenn Sie es tun, Sie von meinem Gatten großzügig belohnt werden, der [im übrigen] nichts tun wird, ohne meinen Ratschlag einzuholen.“ (in: Robert Browning, id., p. 114).

Laut Prokopios von Caesarea hätte sie auch Einfluss auf die Rechtsprechung genommen. So wären ihre Freunde trotz ihrer Verbrechen stets straffrei davongekommen, während ihre Feinde selbst bei kleinen Vergehen streng bestraft worden wären. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History,, Volume VI; id., p. 183). Seiner Meinung nach bestimmte sie die politischen Richtlinien im oströmischen Reich. Johann der Lydier sah sie hingegen nur als „Mitregent des Kaiserreiches“ (in: Theresa Earenfight, id., p. 49), also Justinian gleichgestellt und nicht übergeordnet. Sie war jedoch ein Machtfaktor, den man nicht übersehen durfte. So blockierte sie z. B. die Karriere des sehr beliebten und sehr erfolgreichen Cousins ihres Gatten, Germanus (um 495/500 – 550), und seiner Kinder. Germanus war nämlich im Gegensatz zu ihrem Gatten ein brillanter Feldherr, der zudem drei Kinder besaß, die zwei Söhne Justin (um 525 – 565) und Justinian (nach 525 – nach 578) und die Tochter Justina (527-?), während sie selbst trotz der vielen Heilkuren, die sie unternahm, ihrem Gatten keine Kinder schenken konnte. Sie sah in Germanus eine große Gefahr und befürchtete, dass das Militär und die Bevölkerung zu ihm überlaufen könnte. Jeder wusste, wie Theodora über Germanus dachte, und so fand Letzterer auch keine gleichrangigen Ehepartner für seine Kinder. Ihren Günstlingen hingegen hätte sie wie z. B. Barsymes und Narses zu Schlüsselpositionen im Reich verholfen. (in: Martha Schad, Frauen, die die Welt bewegten. Geniale Frauen, der Vergangenheit entrissen … Augsburg 1997, S. 203).

Justinian und Theodora, die beide den niederen Gesellschaftsschichten entstammten, teilten zudem ihr Misstrauen gegenüber der alteingesessenen Aristokratie. Und was wohl beide genossen, war die Proskynese, die die hohen Gäste bei ihren Besuchen vor ihnen zu vollziehen hatten. Das heißt, die vor dem Kaiser und der Kaiserin erscheinenden Gäste mussten sich vor ihnen ausgestreckt mit dem Gesicht nach unten liegend auf den Boden werfen und je einen von ihren Füßen küssen, bevor sie sich auf ein Zeichen der Herrscher hin wieder erheben durften. Die Proskynese war übrigens im 4. Jahrhundert von den Persern übernommen worden. Theodora wird es sicherlich genossen haben, dass diese Männer, die sie so sehr ablehnten, sie in dieser demütigenden Geste vor ihren Füßen liegend begrüßen mussten.

Und obwohl Justinian und Theodora sich sehr liebten, lebten sie nicht immer eng zusammen. Theodora verbrachte im Gegensatz zu ihrem Gatten den größten Teil des Jahres außerhalb des Palastkomplexes in Konstantinopel in den Vororten, besonders in Heruion oder Hieron an der asiatischen Küstenseite des Bosporus. Oder sie begab sich auf eine ihrer Reisen durch das Kaiserreich. So soll sie sich im Sommer 528 für eine Heilkur in den Mineralquellen von Pythion im nordwestlichen Asia Minor entschieden haben. Ihr größter Wunsch war ihrem Gatten ein Kind zu schenken. Diese eigentlich persönliche Reise wurde jedoch zu einer großen und prächtigen Propagandatour für das Kaiserpaar. Und es fehlte wirklich an nichts. In Theodoras Begleitschaft befanden neben 4.000 Dienern und Hofdamen noch der Stadtpräfekt, die Palastwachen und die kaiserlichen Eunuchen. Da sie als Kaiserin selbstverständlich sehr reich war – sie besaß Grundstücke in Pontus, Paphlagonia und Kappadokien, die sie von ihren eigenen Leuten verwalten ließ –, konnte sie die vielen Kirchen und Dörfer, sie sich auf ihrer Reiseroute befanden, sehr großzügig beschenken. Ein Jahr später, im Jahr 529, suchte sie den Kurort Pythia in Bithynia wegen seiner heißen Quellen auf.

Während Justinians große Leidenschaften als Kaiser die Architektur und die Rechtsprechung waren, legte die Kaiserin Theodora ihr Hauptaugenmerk in die Verbesserung der Behandlung von Frauen und in den Schutz ihrer Glaubensbrüder, der Monophysiten. Denn sie hatte sich vorgenommen, das Los der Frauen ihrer Zeit zu verbessern, ihnen zu helfen, wenn ihnen Unrecht angetan wurde. Schließlich hatte sie das Leid ihrer armen Geschlechtsgenossinnen selbst miterlebt. Sie wusste, was es bedeutete, den Leib verkaufen zu müssen, um den Magen zu füllen. Sie hatte erlebt, wie Männer aus allen Klassen Frauen von der untersten Gesellschaftsschicht behandelten. Mit der Hilfe ihres Gatten wurden neue Gesetze herausgegeben, die die Ehe, den Ehebruch und die Scheidung behandelten. Zur Scheidung reichte nun nicht mehr das gegenseitige Einverständnis, da Ehefrauen von ihren Männern häufig gewaltsam gezwungen wurden, ihr Zugeständnis zu geben. In Zukunft mussten legitime Gründe aufgelistet werden. Eine Ehefrau, die bei einem Ehebruch erwischt wurde, durfte zudem fortan von ihrem Gatten nicht mehr getötet werden. Sie wurde wegen dieses Verbrechens nun in ein Kloster gesteckt, das sie nur dann wieder verlassen durfte, wenn ihr Gatte ihr ihren Ehebruch innerhalb von zwei Jahren verzieh.

Auch die Gesetze, die sich bisher mit Vergewaltigung, gewaltsamer Ergreifung und sexueller Verführung von Frauen aller Gesellschaftsschichten beschäftigt hatten, wurden von Justinian schließlich überarbeitet. In einem Gesetz, das im Jahr 528 herausgegeben wurde, stand auf die Vergewaltigung und Verführung von Frauen, auch einer Sklavin, von nun an die Todesstrafe. Bisher konnte man Frauen der untersten Gesellschaftsschicht wie z. B. Schauspielerinnen, Prostituierte und Sklavinnen ungestraft vergewaltigen. (in: Lynda Garland, id., p. 16). Ein Gesetz aus dem Jahr 535 bestimmte, dass eine Ehe aufgrund der gegenseitigen Zuneigung der Partner geschlossen werden sollte und dass fortan eine Mitgift unnötig sei. Und zusätzlich verteidigte Justinian noch das Recht der Frauen, über eigenen Grundbesitz zu verfügen und ihn zu erben.

Theodora unterstützte nicht nur misshandelte und/oder von ihren Ehemännern verstoßene Frauen, sie schuf für Prostituierte, Schauspielerinnen und junge ledige Mütter auch ein Asyl – hier sprachen eigene Erfahrungen mit – und stiftete Spitäler und Waisenhäuser. Zumindest die ärmeren, weiblichen Zeitgenossen von Theodora waren ihr sehr dankbar. So konnte man in der Kirche der Heiligen Sergius und Bacchus, die sich im Palast von Hormisdas befand, in großen Buchstaben lesen: „Möge er [der Heilige Sergius] in allen Dingen die Herrschaft des schlaflosen Herrschers bewachen und die Macht der von Gott gekrönten Theodora vergrößern, deren Geist mit Gottesfurcht geschmückt ist und deren fortwährende Mühe in dem schonungslosen Einsatz liegt, die Notleidenden zu ernähren.“ (in: James Allan Evans, id., pp. 27-28/127).

Wieder aus ihrer eigenen Erfahrung sprach der Wunsch Theodoras, dass ihr Gatte das Leben von Schauspielerinnen verbesserte. So verbot jener schließlich in einem Gesetz im Jahr 534, Frauen, ob Sklavinnen oder Freie, zu einem Leben auf der Theaterbühne zu zwingen, wenn diese es nicht wollten. Falls jene sich für die Schauspielerei entschieden hätten, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt wünschten, aus diesem Beruf wieder auszusteigen, dann durften die Theaterbesitzer sie nicht davon abhalten. Außerdem konnten von nun an ehemalige Schauspielerinnen, ob es sich bei ihnen um Freie oder freigelassene Sklavinnen handelte, eine legale Ehe mit Männern höheren Ranges eingehen. Mit Hilfe von Justinian setzte Theodora überdies durch, dass fortan keine Frau mehr in ein Gefängnis gesteckt wurde, in dem die männlichen Wärter ihr Leid antun konnten. Wenn Frauen inhaftiert werden müssten, dann nur noch in einem Frauenkloster.

Das Los der vielen Prostituierten in Konstantinopel lag Theodora selbstverständlich ebenfalls sehr am Herzen. So ließ sie eines Tages alle Bordellbesitzer in Konstantinopel zu sich rufen. Nachdem sie ihnen Vorwürfe wegen ihrer Tätigkeit gemacht hatte, wollte sie wissen, was sie den Eltern bzw. den Vätern der Mädchen bezahlt hätten, mit denen sie ihre Bordelle gefüllt hätten. Als jene unter Eid schworen, dass sie fünf Gold Solidi pro Mädchen bezahlt hätten, gab sie ihnen das Geld zurück und befahl ihnen, sich einen anderen Beruf zu suchen. Dann ließ sie nach den Mädchen schicken, denen sie je einen Gold Solidus und ein neues Gewand überreichte und die sie dann zu ihren Eltern nach Hause schickte. Ihre gute Tat war jedoch nur ein Tropfen auf einem heißen Stein! Die Bordelle von Konstantinopel waren schon bald wieder mit neuen Mädchen gefüllt. Denn die Bordellbesitzer machten sich sogleich wieder in die vielen Dörfer um Konstantinopel auf und lockten Mädchen, ihnen in die Hauptstadt zu folgen – einige waren jünger als 10 Jahre –, mit dem Versprechen, sie würden feine Kleider und neue Schuhe erhalten. In Konstantinopel hatten jene dann als Prostituierte für die Bordellbesitzer Geld anzuschaffen. Theodoras Versuch, den Bordellbesitzern ins Gewissen zu reden, hatte nichts gebracht. Justinian erließ deshalb um 535 ein neues Gesetz, dass die Prostitution fortan generell verbot und die Zuhälter aus Konstantinopel verstieß.

Die männlichen Zeitgenossen von Theodora hatten für diese kaiserlichen Interventionen wenig Verständnis. So kommentierte Prokopios von Caesarea Theodoras Einsatz für 500 der ärmsten Prostituierten, die sie in einem Konvent unterbringen und versorgen ließ, mit der Bemerkung, dass sich einige von diesen jedoch mit ihrem „neuen Leben“ nicht anfreunden konnten und in der Nacht von der hohen Klostermauer in die Freiheit gesprungen wären. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id., p. 199). Nach dem Motto: Prostituierte sind nicht ohne Grund Prostituierte! Außerdem erzählte er, dass Theodora einen gewissen Saturninus, einen Sohn des verstorbenen und angesehenen Meisters der Ämter, Hermogenes, der eigentlich die Tochter eines Cousins ersten Grades heiraten wollte, mit der Tochter ihres alten Freundes von der Bühne, Chrysomallo, vermählt hätte. Als Saturninus in der Hochzeitsnacht bemerkte, dass seine Gattin keine Jungfrau mehr gewesen sei, beschwerte er sich darüber bei seinen Verwandten, die diese skandalöse Offenbarung mit ihren Freunden und Nachbarn teilten. Schließlich erreichte Saturninus’ Beschwerde auch die Ohren der Kaiserin. Erzürnt hätte Theodora jenen daraufhin auspeitschen lassen und ihm erklärt, dass sie nicht das geringste Verständnis für Männer wie ihn hätte, die jederzeit die Schauspielerinnen auf der Bühne wie Prostituierte benutzen würden, um ihre sexuellen Gelüste zu stillen, und sich dann zu beschweren wagen würden, wenn sie entdeckt hätten, dass ihre Bräute keine Jungfrauen mehr gewesen seien. Wäre er denn in der Hochzeitsnacht zumindest noch „jungfräulich“ gewesen?

Besonders kümmerte Theodora sich auch um ihre Glaubensbrüder, die Monophysiten, deren Verfolgung sie in den Jahren 530 oder 531 verringern konnte. (in: James Allan Evans, id., p. 72). Sie stand mit den führenden Persönlichkeiten dieser Glaubensrichtung in enger Freundschaft und gewährte monophysitischen Schutzsuchenden Asyl u. a. in ihrem Palast von Hormisdas, den sie mit Hilfe von Planken, Matten und Gardinen in ein Kloster mit vielen kleinen Kammern und Nischen umbauen ließ. (in: James Allan Evans, id., p. xi). In den 530er Jahren waren übrigens nicht weniger als 500 Monophysiten zu ihr nach Konstantinopel geflohen. Theodora versah jene nicht nur mit dem Notwendigsten, sondern schaute auch jeden zweiten oder dritten Tag nach ihnen. Zuweilen befand sich auch ihr Gatte an ihrer Seite. Ihre monophysitischen Freunde sollen auf jenen einen tiefen Eindruck gemacht haben. Einer ihrer Schützlinge war der Patriarch Theodosios von Alexandria († 566), der vermutlich seit 536 mit ungefähr 300 weiteren monophysitischen Geistlichen in Thrakien in der Festung von Derkos gefangengehalten wurde. Unter dem Einfluss von Theodora wurde er schließlich nach Konstantinopel überführt und ebenfalls in ihrem Palast in Hormisdas untergebracht. Severus, der ehemalige Patriarch von Antiochia, der ihn mit kleinen Geschenken in der Festung von Derkos zu trösten versucht hatte, schrieb ihm daraufhin, dass er damit wohl nun aufhören könne, denn „er sah, dass er [Theodosios] nun bei der heiteren Königin ist, die ihn versorgen wird, wenn er wünscht sogar mit mehr, als er eigentlich benötigt.“ (in: Lynda Garland, id., p. 26).

Die Monophysiten benötigten Theodoras Hilfe besonders in den Jahren 535 bis 537 unter den Päpsten Agapitus (oder Agapetus) (Papst von 535 bis 536) und Silverius (Papst von 536 bis 537). Der Papst Agapitus war im Jahr 536 persönlich nach Konstantinopel gekommen, um bezüglich der sich dort verbergenden Monophysiten aufzuräumen. Sein Ziel war es nämlich gewesen, sämtliche Monophysiten, auch in ihren Hochburgen in Ägypten und Syrien, auszutilgen. Zu Theodoras Entsetzen exkommunizierte der Papst Agapitus ihren Schützling Severus, der von 512 bis 518 Patriarch von Antiochia war und der bei der Kaiserin Asyl gefunden hatte. Im August 536 hatte jener auf Befehl des nächsten Papstes Silverius die oströmische Hauptstadt zu verlassen. Theodora konnte nur verhindern, dass Severus nicht auch noch gefoltert wurde. In einem Brief von ihm an die Glaubensbrüder im Osten schrieb er bezüglich seiner Vertreibung: „Was die Boshaftigkeit dieser Männer [der Päpste Agapitus und Silverius] betrifft, sie ist nicht mit Blut getränkt worden; die Christus verehrende Königin bot mir ausreichenden Schutz ...“ (in: Lynda Garland, id., p. 26).

Ein weiteres berühmtes Opfer des Papstes Agapitus im Jahr 536 war der Patriarch Anthimos (oder Anthemus oder Anthimus) von Konstantinopel, der ehemalige Bischof von Trapezus, ein sehr toleranter Orthodoxer, der Theodoras vollkommenes Vertrauen genoss. Für den Papst war jener gegenüber den Monophysiten zu kompromissbereit. Deshalb bannte er ihn und enthob ihn seines hohen geistlichen Amtes und ersetzte ihn mit einem Mann seiner Wahl, einem gewissen Menas, der bisher der Leiter des Spitals von Samson war. Da der Papst bereits am 22. April 536 in Konstantinopel starb, versuchte Theodora mit Unterstützung ihres Gatten den neuen Papst Silverius zu überreden, Anthimos wieder in sein ehemaliges hohes geistliches Amt, also als Patriarch von Konstantinopel, einzusetzen, was jener jedoch ablehnte. Daraufhin wandte Theodora sich über den Diakon Vigilius an Justinians Freund, den Feldherrn Belisarius, mit folgender Anweisung: „Finde einige Beschwerdegründe gegen den Papst Silverius und entferne ihn von seinem Posten als Bischof [von Rom] oder schicke ihn zumindest schnell zu uns. Du hast bei Dir den Erzdiakon Vigilius, unseren geliebtesten Vertreter, der uns versprochen hat, den Patriarchen Anthimos zurückzurufen.“ (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, id., p. xx).

Und in der Tat konnte man dem Papst Silverius geheime Verhandlungen mit dem ostgotischen König Witiges vorwerfen und ihn seines hohen geistlichen Amtes entkleiden. Sein Nachfolger wurde am 25. März 537 der Diakon Vigilius, der sich jedoch als der nächste Papst nicht an sein Versprechen gegenüber Theodora, Anthimos von seinem Bann zu befreien, hielt. Letzterer war jedoch trotz so vieler Versuche des Papstes nicht mehr zu finden. Theodora hatte ihn in den Frauenquartieren ihres Palastes versteckt. Erst nach ihrem Tod im Jahr 548 wurde er hier entdeckt. Der abgesetzte Papst Silverius war übrigens zuerst nach Patara in Lycia (heute: Türkei) verbannt worden. Der dortige Bischof war entrüstet, wie der ehemalige Papst hier behandelt wurde, und wandte sich deshalb an Justinian, der angeblich nichts von Theodoras Komplott gegen den Papst gewusst haben wollte. Er schickte Silverius zurück nach Rom und forderte Belisarius auf, die Anklagen des Papstes zu überprüfen, und, falls er unschuldig sein sollte, ihn wieder als Papst einzusetzen. Als Silverius jedoch in Rom eintraf, übergab Belisarius diese Angelegenheit an den neuen Papst Vigilius, der seinen Vorgänger auf einer kleinen Insel im Thyrrenischen Meer gefangen setzte und ihm nur Brot und Wasser gewährte. Silverius soll dort den Hungertod erlitten haben und am 2. Dezember 537 gestorben sein. (in: James Allan Evans, id., p. 92).

Die Monophysiten nannten Theodora, die sich so für sie einsetzte und sie stets zu beschützen versuchte, „die Gott liebende Königin“ (in: James Allan Evans, id., p. 74). Die orthodoxen Chalkedonier jedoch hassten sie sehr und sahen in ihr ihren großen Feind. Als der eingefleischte Chalkedonier Sabas (oder Sabbas) (um 439 – 532), der Archimandrit (= Vorsteher) aller Klöster in Palästina, im Jahr 531 als ungefähr 92-Jähriger nach Konstantinopel kam und Theodora ihn respektvoll begrüßte und ihn bat, sie zu segnen und für sie zu beten, damit sie endlich schwanger werde und ihrem Gatten ein Kind schenken könne, erhielt sie von ihm die Antwort, dass er nicht für ein Kind für sie beten würde, denn sie würde nur einen weiteren Feind der orthodoxen Chalkedonier „ausbrüten“. (in: James Allan Evans, id., p. 75).

Konnte Theodora auch die orthodoxen Chalkedonier nicht für sich einnehmen, so war sie immerhin in der Lage, ihren Gatten für die Monophysiten zu gewinnen. In der „Geschichte der Patriarchen der Koptischen Kirche von Alexandria“ liest man, dass Theodora den Monophysiten Theodosios († 566), der bereits erwähnt wurde, im Februar 535 zum neuen Patriarchen von Alexandria bestimmt hätte und dass sie dies mit der Genehmigung ihres Gatten hätte tun dürfen, der „die Prinzessin zu beglücken und ihr Herz zu erfreuen wünschte, [daher] gab [er] ihr die Befugnis gemäß seiner Autorität in dieser Angelegenheit zu tun, was auch immer sie begehrte.“ (in: Lynda Garland, id., p. 26). Glaubensmäßig bewegte sich der Kaiser im Laufe der Jahre immer mehr in Richtung von Theodora. So beauftragte er im Jahr 542 den Monophysiten Johannes von Ephesos mit der Bekehrung der Heiden in Asia Minor. Voller Stolz konnte jener schließlich berichten, dass er in den vier Provinzen von Asia, Caria, Phrygia und Lydia 80.000 Bewohner hätte taufen und 98 neue Kirchen und 12 Klöster hätte errichten können.

die oströmische Kaiserin Theodora
Die oströmische Kaiserin Theodora. Mailand, Castello Sforzesco.

Justinian und Theodora hatten in ihrer Regierungszeit schwierige Situationen zu überstehen. Gerade ihre Herrschaft war besonders durch viele Naturkatastrophen und Krisen gekennzeichnet. Nur ein Jahr nach ihrer Thronbesteigung ereignete sich am 29. November 528 ein sehr schweres Erdbeben in Antiochia in Syrien. Justinian und Theodora schickten sofort Hilfe und zeigten sich beim Wiederaufbau der Stadt finanziell sehr großzügig. Der oströmische Geschichtsschreiber Johannes Malalas († 578) erwähnt Kirchen, Bäder, Zisternen und ein Spital, die im Auftrag von Justinian neu errichtet wurden. Bezüglich der Kaiserin Theodora schrieb er: „Die gottesfürchtigste Theodora gleichfalls stellte für die Stadt vieles bereit. Sie ließ eine außergewöhnliche, schöne Kirche des Erzengels Michael erbauen; sie war auch für die so genannte Basilika des Anatolius verantwortlich, für die die Säulen aus Konstantinopel gesandt wurden. Die Augusta Theodora fertigte ein sehr teures Kreuz, aus Perlen zusammengestellt, an und schickte es nach Jerusalem.“ (in: John Malalas, The Chronicle, Melbourne, 1986, p. 423). Die Erdbeben währten bis ins Jahr 530 hinein und führten zu Zerstörungen u. a. in Selucia, Anazarbus (in Cicilia), Ibora, Amasia, Poybotus (in Phrygia), Philomede, Lychnidus (in Epirus), Korinth, Laodicea, Amasea und Myra. Im Jahr 530 gesellte sich zu ihnen noch eine extreme Trockenperiode. In dieser kritischen Zeit reagierten Justinian und Theodora sofort und sandten sehr großzügige finanzielle Hilfe.

Bereits im Jahr 532, fünf Jahre nachdem Justinian und Theodora den Kaiserthron bestiegen hatten, kam es zur ersten großen politischen Krise, dem berühmten Nika-Aufstand, einem schlecht organisierten und verzweifelten Versuch der beiden Parteien, also der Blauen und der Grünen, Justinian mit Gewalt vom Thron zu entfernen. Die Ursache dieser Verschwörung lag in der Erhöhung der Steuern für die reichen Untertanen und dem Abbau von überflüssigen Posten in der kaiserlichen Bürokratie, also der Entlassung von zahlreichen, nicht benötigten kaiserlichen Beamten. Die Kriege, die Bauvorhaben und die vielen Naturkatastrophen hatten Unsummen an Geldern der kaiserlichen Staatskasse verschlungen. Die reichen Untertanen des Kaiserpaares, die nicht bereit waren, höhere Steuern zu bezahlen, und die aus ihren Posten entlassenen kaiserlichen Beamten aus sämtlichen Provinzen fanden sich zu einem lautstarken Protest in Konstantinopel ein. Da gleichzeitig oder sogar mit Absicht auch noch der Transport der notwendigen Nahrungsmittel außer Kontrolle geriet, schlossen sich schließlich diesem Protest auch noch die armen Untertanen an. Die Partei der Grünen, die ewigen Gegner des Kaiserpaares, sahen ihre Stunde für gekommen und riefen Anfang Januar 532 zu einer großen Demonstration im Hippodrom auf, um sich über die Willkür des Kaisers und seiner hohen Beamten in Konstantinopel zu beschweren. Wenige Tage später kam es in den Straßen der Hauptstadt zu blutigen Raufereien und Schlägereien zwischen den Anhängern der Partei der Grünen und der Partei der Blauen. Der Stadtpräfekt Eudaimon und seine bewaffneten Truppen verhafteten einige der Unruhestifter und verurteilen sie zum Tode.

Am 13. Januar kam es wegen der misslungenen Hinrichtung von zwei Männern, einer gehörte der Partei der Grünen, der andere der Partei der Blauen an, schließlich zum Bündnis der Grünen und der Blauen. Die Hinrichtung dieser Männer – sie waren zum Tod durch Erhängen verurteilt – war nämlich missglückt. Vermutlich waren die Seile gerissen. Die Männer waren am Leben geblieben und vom Volk und den Geistlichen der Kirche des Heiligen Laurentius in Schutz genommen und wegtransportiert worden. Es wurde als ein Zeichen Gottes betrachtet. Die verbündeten Anhänger der Grünen und der Blauen machten sich also am 13. Januar mit dem Schlagwort „Nika“ (= gewinnen) gemeinsam zum Palast des Stadtpräfekten auf, töteten diejenigen, die den Palast verteidigten, befreiten sämtliche Gefangenen aus ihren Zellen und setzten das Gebäude in Brand. Dann zündeten sie noch die große Einfahrt des kaiserlichen Palastes, viele Kirchen und auch einfache Häuser an. Am 14. Januar forderten sie schließlich die Entlassung des Stadtpräfekten Eudaimon, des obersten Richters Tribonian und des Prätorianerpräfekten Johannes des Kappadokiers, der auch gleichzeitig der höchste kaiserliche Finanzbeamte war. Justinian hoffte noch, das Schlimmste abwenden zu können, und entließ seine drei hohen Beamten aus ihren Diensten. Aber der Aufstand hörte nicht auf. Mittlerweile brannte es überall in der Stadt, und das aufgewühlte Volk belagerte bereits den kaiserlichen Palast.

Am Abend des 15. Januar erklärten die Aufständischen Justinian für abgesetzt und erhoben den dritten Neffen des ehemaligen oströmischen Kaisers Anastasius I., Probus, zu ihrem neuen Kaiser. Jener hatte aber bereits Konstantinopel in aller Heimlichkeit verlassen, denn er wollte mit den Aufständischen nichts zu tun haben. Schließlich war sein Sohn Anastasius mit der unehelichen Tochter von Theodora verheiratet gewesen. Daraufhin erhoben die Aufständischen einen weiteren Neffen des Kaisers Anastasius I., Hypatius, zum neuen Kaiser. Die Situation sah für Justinian und Theodora sehr gefährlich aus. Eine schnelle Galeere stand im privaten Hafen des kaiserlichen Palastes bereits zur Flucht nach Herakleia in Thrakien zur Verfügung. Während Justinian am 18. Januar seinen Mut vollkommen verloren hatte und fliehen wollte, riet Theodora ihm mit folgenden Worten davon ab: „... Meine Meinung ist daher, dass es zurzeit … unangemessen für eine Flucht ist, auch wenn sie Sicherheit gewährt. Denn weil es für einen Menschen, der geboren wurde, unmöglich ist, nicht auch zu sterben, so ist es für jemanden, der ein Kaiser gewesen ist, nicht vereinbar, ein Flüchtling zu sein. Möge ich von diesem Purpur [der Kaiserwürde] niemals getrennt werden, und möge ich nicht den Tag erleben, an dem mich jene, die mir begegnen, mich nicht als ihre Herrin adressieren. Wenn es nun Ihr Wunsch ist, oh Kaiser, sich zu retten, dann ist das nicht schwierig. Denn wir haben genug Geld, und da ist das Meer, hier die Boote. Aber bitte bedenken Sie, ob es sich begeben wird, dass, nachdem Sie gerettet wurden, Sie diese Sicherheit nur zu gerne mit dem Tod ausgetauscht hätten. Denn, was mich persönlich betrifft, ich stimme einem gewissen alten Sprichwort zu, dass das Königtum ein gutes Leichentuch ist.“ (in: Procopius of Caesarea, History of the wars, Book I and Book II, With an English Translation by H.B. Dewing, Volume I, London and New York 1914, pp. 231; 233).

Durch die Rede seiner Gattin entschied Justinian sich, nicht zu fliehen, sondern zu kämpfen. Er sandte seine Feldherren Belisarius, Mundus und Narsus mit ihren Truppen gegen die Aufständischen, die sich im Hippodrom versammelt hatten. 30.000 bis 35.000 Menschen sollen bei der Niederwerfung dieses Aufstandes ihr Leben verloren haben.

Zu Beginn des Jahres 536 wurden Theodora und ihr Gatte Zeitzeugen vermutlich eines Supervulkanausbruches. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich hierbei um den Ausbruch des Vulkans Ilopango in El Salvador. Milliarden an Tonnen von Asche verdunkelten auf der gesamten Erde die Tage. Dieser Supervulkanausbruch vernichtete nicht nur die Maya und ihre Kultur, sondern hatte auch einen drastischen Klimawandel und damit verbunden verheerende Hungersnöte und Epidemien zur Folge. Bei Zacharias von Mytilene († nach 536) lesen wir, dass vom 24. März 536 bis zum 24. Juni 537 ein dicker Staubschleier die Sonne während des Tages und den Mond während der Nacht verdunkelte. „Und Johannes von Ephesus [oder Ephesos] schrieb aus Kleinasien, die Verdunklung habe [sogar] 18 Monate gedauert und die Sonne sei am Tag höchstens vier Stunden zu sehen gewesen. In seiner Kirchengeschichte fügte derselbe Autor hinzu, dass der Winter 536/37 ungewöhnlich hart gewesen sei und in Mesopotamien zu heftigen Schneefällen geführt habe.“ (in: Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas – Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, München 20144, S. 94). In einer anderen zeitgenössischen Quelle aus dem Jahr 536 wird von erheblichen klimatischen Veränderungen gesprochen: „Ewiger Frost und unnatürliche Dürre“, „Die Jahreszeiten haben sich geändert ...“, „... daß der Winter sich unüblich trocken und kalt gestaltete“ und „... daß die gewohnte Nahrung nicht nach ihrem eigenen Gesetz aufwächst ...“ (in: Briefe des Ostgotenkönigs Theoderich der Große und seine Nachfolger – Aus den „Variae“ des Cassiodor; herausgegeben von Ludwig Janus, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Peter Dinzelbacher, Heidelberg 2010, S. 95-99).

Vielleicht durch die drastische Klimaveränderung und damit verbunden einer Störung beim Wachstum der Pflanzen erschienen im Frühling 541 die Bulgaren, ein nomadisches Volk des turksprachigen Stammesverbandes, vor der Stadtmauer von Konstantinopel. Sie zerstörten auf ihren Plünderungszügen die Außenbezirke und führten, obwohl sie nicht in der Lage waren, die Mauern von Konstantinopel zu überwinden, zu einer Massenflucht, besonders der reichen Untertanen des Kaiserpaares, nach Asia Minor. Als die Bulgaren sich endlich wieder in ihre Gebiete zurückzogen, nahmen sie 120.000 Gefangene mit sich.

Wenig später, im Mai 542 (in: Robert Browning, id., p. 120) oder im Oktober 542 (in: Charles Christopher Mierow, The Gothic History of Jordanes, Cambridge, New York 1966 (reprinted), p. 13), tauchte in Konstantinopel die Pest bzw. Beulenpest auf, die in die Geschichte als die „Justinianische Pest“ einging. Die ersten Berichte über die Pest in dieser Zeitperiode finden wir in Ägypten im Jahr 541. Im Jahr 543 grassierte sie in Italien. Sie breitete sich bis nach Spanien und Gallien aus. In Konstantinopel wütete sie vier Monate lang. Laut Prokopios von Caesarea starben in dieser Zeit dort so viele Menschen an der Pest, dass es letztendlich nicht mehr genug Lebende gab, um die Toten zu beerdigen. Letztere versuchte man so schnell wie möglich zu beseitigen, indem man sie über die Mauern und in Zisternen warf. Laut unseres Gewährsmannes soll die Hälfte der Bevölkerung – man spricht von über 300.000 Menschen – gestorben sein. (in: Procopius of Caesarea, The Anecdota or Secret History, Volume VI, p. 227 und in: Robert Browning, id., p. 120).

Auch der Kaiser wurde ein Opfer der Pest. Er erkrankte sehr schwer, und Theodora musste daher in seinem Namen die Regierungsgeschäfte übernehmen. Mit der schweren Erkrankung des Kaisers wurde automatisch die Nachfolgefrage wieder aktuell. Wer würde Justinian als nächster Kaiser folgen, falls dieser sterben sollte? Theodora betrachtete Germanus und Belisarius, einen Cousin und einen sehr engen Freund von Justinian, als die gefährlichsten Rivalen ihres Gatten. Belisarius schien sich in dieser kritischen Zeit mit einem anderen Offizier namens Bouzes zusammengetan zu haben. Sie wollten dafür sorgen, dass, falls Justinian sterben sollte, sie bei der Wahl des nächsten Kaisers ein Mitspracherecht besaßen. Theodora erfuhr von diesem Plan von zwei von deren Offizieren, die ihr vermutlich als Spione dienten. Sie schritt sofort gegen Belisarius und Bouzes vor. Letzterem standen nun zwei Jahre und vier Monate in dunkler Einzelhaft bevor. Belisarius wurde seines Kommandos enthoben. Außerdem konfiszierte Theodora einen großen Teil seines Privatvermögens und löste die Elite-Haustruppe von Belisarius, die Truppe der „Bucellarii“, auf. Im Gegensatz zu Bouzes blieb er jedoch von einer mehrjährigen dunklen Einzelhaft verschont.

Als Justinian schließlich im Jahr 543 wieder gesundet war, erhielt sein Freund Belisarius sowohl sein konfisziertes Vermögen als auch im Jahr 544 sein Oberkommando wieder zurück. Außerdem wurde das einzige Kind von Belisarius und Antonina, ihre Tochter Joannina, mit Theodoras ältestem Enkel Anastasios verlobt. Wenn wir Prokopios von Caesarea glauben dürfen, dann war jedoch zumindest seit dem Jahr 547 das Verhältnis zwischen Theodora und ihrer ehemaligen engen Freundin Antonina, der Gattin von Belisarius, nicht mehr das Beste. Dabei hatte sie jener sehr geholfen, als sie eine Affäre mit ihrem Adoptivsohn Theodosius begonnen hatte, und Belisarius zusammen mit seinem Stiefsohn Photius diesen entführt hatte. Als Theodora ihren Enkel Anastasios endlich mit seiner langjährigen Verlobten Joannina verheiraten wollte, schienen die Eltern der Letzteren, Belisarius und Antonina, von dieser Idee nicht begeistert gewesen zu sein. Sie baten um die Verzögerung der Heirat, da sie sich gerade in Italien befinden würden und doch so gern bei der Hochzeit ihres Kindes anwesend sein möchten. Theodora durchschaute die beiden jedoch und war zu einer weiteren Verzögerung der Hochzeit nicht bereit. So fand die Heirat von Anastasios und Joannina, die sich sehr geliebt haben sollen, im Jahr 547 ohne die Eltern der Braut statt.

Ein Jahr später, im Jahr 548, starb Theodora entweder am 28. Juni (in: Procopius of Caesarea, History of the wars. Book VI and Book VII: The Gothic War, Volume IV, id., p. 407) oder am 29. Juni (in: Theresa Earenfight, id., p. 52; und James Allan Evans, id., pp. 103-104). Der afrikanische Chronist Victor von Tonnena, der im Jahr 548 in Konstantinopel war, berichtet, dass die Kaiserin an Krebs, vermutlich Brustkrebs, gestorben sei. Bevor Theodora ihre Augen für immer schloss, soll sie ihren Gatten gebeten haben, ihr zu versprechen, dass er sich um ihre monophysitischen Geistlichen im Palast von Hormisdas kümmere und sie weiterhin beschütze. Beerdigt wurde sie in der Kirche der Heiligen Apostel, deren Grundstein sie selbst im Jahr 536 gelegt hatte. Überlebt wurde Theodora außer von ihrem Gatten von ihrer unehelichen Tochter und deren drei Söhnen Anastasios, Johannes und Athanasios, von ihrer Schwester Comito und ihrer Nichte und Adoptivtochter Sophia.

Nach ihrem Tod erschien Antonina in Konstantinopel und zwang ihre Tochter, sich von ihrem geliebten Gatten Anastasios, mit dem sie seit acht Monaten glücklich verheiratet war, gegen deren eigenen Willen zu trennen. Prokopios von Caesarea beschreibt dieses Vorgehen der ehemaligen engen Freundin von Theodora als ein großes Unrecht und eine große Undankbarkeit gegenüber der verstorbenen oströmischen Kaiserin, die doch so viel für jene getan hätte. Anastasios heiratete bereits im Jahr 548 zum zweiten Mal. Bei seiner zweiten Gattin handelte es sich um Juliana, die Tochter von Flavius Anicius Probus Iunior, die ihm die zwei Kinder Aerobindus, geboren um 550, und Placidia, geboren um 552, schenkte (siehe die Stammtafel der oströmischen Kaiserin Theodora).

Theodoras zweiter Enkel, Johannes, stieg zum Konsul auf und wurde vermutlich auch zum Patrizier erhoben. Er heiratete in eine reiche monophysitische Familie ein. Der Name seiner Gattin lautete Georgia. Der jüngste Enkel von Theodora, Athanasios oder Athanasius, entschied sich, anstatt zu heiraten, für ein geistliches Leben. Er wurde Mönch und schließlich ein begeisterter Apostel des Tritheismus, einer weiteren monophysitischen Sekte, die im Jahr 559 gegründet und die letztendlich als Ketzerei verdammt wurde. Im Tritheismus glaubte man nicht an die Dreifaltigkeit, sondern an die göttliche Familie Gott, der Vater, Jesus Christus, der Sohn, und Maria, die Mutter. Athanasius, der schwerreich war, soll sein Geld großzügig zur Gewinnung von Konvertiten für diese monophysitische Sekte ausgegeben haben.

Als Frau und hinzu noch als politisch Aktive, muss Theodora viele männliche Feinde gehabt haben. Einer von diesen war der zeitgenössische Geschichtsschreiber Prokopios von Caesarea, der für die böswillige Lüge verantwortlich ist, Theodora hätte die Anweisung zur Ermordung der ostgotischen Königin Amalasuntha gegeben. Während wir von ihren männlichen monophysitischen Freunden selbstverständlich erwarten dürfen, dass sie positiv von ihr berichteten, sind wir eher überrascht, dass auch die zeitgenössischen orthodoxen Chalkedonier Theodoras Freundlichkeit und Güte nicht vergaßen. Der Kirchenhistoriker Evagrius Scholasticus von Antiochia (535/536-594), der nach ihrem Tod schrieb und der als orthodoxer Chalkedonier kein Freund der Monophysiten und deren weltlichen Beschützer war, vermerkte, dass Theodora zu „unseren Leuten (von Antiochia)“ herzensgut gewesen wäre. Theodora hatte in der Tat als eine ihrer Hauptaufgaben als Kaiserin gesehen, die zu verteidigen, die sich selbst nicht verteidigen konnten: die Armen, die Schwachen, die Verfolgten. Wir dürfen nie vergessen, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird. Wäre Theodora eine begeisterte Anhängerin der orthodoxen Chalkedonier gewesen, die in der Geschichte als „die Sieger“ im Kampf der unterschiedlichen christlichen Glaubensrichtungen hervorgegangen sind, würden wir sie heute unter den Heiligen der katholischen Kirche finden.

Für Justinian sollte es nach Theodoras Tod keine andere Frau mehr in seinem Leben geben, obwohl er sie 17 Jahre überlebte. Nun wurde die Theologie für ihn zur Besessenheit. Die Probleme auf dieser Welt interessierten ihn nicht mehr. Es gab noch zwei große Verschwörungen gegen ihn, eine im Jahr des Todes von Theodora, also im Jahr 548, als man seinen Cousin Germanus zum Kaiser erheben wollte, dieser sich jedoch weigerte, die andere im Jahr 562, als seine schwerreichen Untertanen, die erneut zur Zahlung höherer Steuern gezwungen wurden, sich mit einigen Dienstleuten des Belisarius zur Ermordung des Kaisers zusammengetan hatten. Letztere Verschwörung brachte Belisarius in eine schwierige Situation. Justinian traute seinem ehemaligen Freund nicht mehr. Die meisten seiner Gefolgsleute wurden von ihm abgezogen, und er selbst wurde unter Hausarrest gestellt.

Justinian vergaß seine Theodora nie. Als er im Jahr 559 nach einer erfolgreichen Verhandlung mit den Hunnen (in: Robert Browning, id., p. 130) nach Konstantinopel zurückgekehrt war, führte die Siegesprozession am 11. August an der Kirche der Heiligen Apostel vorbei, damit Justinian vor dem Grabmal von Theodora ein Gebet sprechen und Kerzen anzünden konnte. Als er in der Nacht des 14. November 565 völlig überraschend starb – es hatte keine Anzeichen einer Krankheit gegeben –, war er mittlerweile ein überzeugter Monophysit, wie es sich seine Theodora so sehr gewünscht hatte. (in: James Allan Evans, id., p. 24). Zwei Tage später wurde er am 16. November 565 neben Theodora in einem Sarkophag aus Porphyr in der Kirche der Heiligen Apostel beigesetzt. Die Beerdigungsfeier für „ihren Vater“ organisierte und beaufsichtigte seine Adoptivtochter und Nichte seiner Gattin, Sophia, die das Leichentuch für ihn selbst gewebt und mit Gold und kostbaren Edelsteinen versehen und mit Szenen großer Ereignisse in seiner Regierungszeit verziert hatte. (in: Lynda Garland, id., p. 42). Von der Kirche der Heiligen Apostel und auch den Grabmälern von Justinian und Theodora ist heute leider nichts mehr erhalten geblieben. Da diese Kirche jedoch als Vorbild für die Basilika von St. Markus in Venedig diente, können wir uns immerhin noch vorstellen, wie sie ungefähr ausgesehen hat.

Das nächste Kaiserpaar nach dem Tod von Justinian wurden seine Adoptivtochter Sophia und sein Neffe Justin II., die zwei Kinder besaßen: Justin, gestorben vor 565, und Arabia (um 550 – vor Dezember 574). Sophia war wie ihre Adoptivmutter und Tante eine sehr resolute, energische und ehrgeizige Frau, die von Anfang an in diesem Herrscherteam der dominante Partner war und im Prinzip die Politik im oströmischen Kaiserreich bestimmte. Ihr Gatte litt nämlich nach der katastrophalen Niederlage gegen die Perser schwer unter Depressionen, die ihn seit 572 handlungsunfähig machten. Denn mittlerweile hatte Justin II. seinen Verstand vollständig verloren. Zuerst hatte man die Fenster im kaiserlichen Palast verbarrikadieren müssen, damit er sich nicht in den Tod stürzen konnte, und dann hatte man ihn schließlich einsperren müssen, da er die Leute um sich herum zu beißen begann.

Im Gegensatz zu ihrer Tante Theodora war Sophia in der Tat die Mitregentin ihres Gatten. Das zeigte sich auch in den Münzen, die zu ihrer Zeit herausgegeben wurden und auf denen ihr Bildnis zu entdecken ist. Wie ihr Gatte wurde sie von Beginn an mit einem Zepter in ihren Händen dargestellt. In den Erlassen, die in der Regierungszeit ihres Gatten herausgegeben worden waren, ist sie zudem stets neben ihm genannt. Wie ihre Tante Theodora ließ sie als Kaiserin viele Paläste und Kirchen erbauen und galt wie jene auch als eine sehr großzügige Wohltäterin und zudem als eine raffinierte Diplomatin. So sandte Sophia an den persischen Großkönig Chosrau I. († 597) einen Brief, in dem sie an seine Ritterlichkeit appellierte, und erreichte hierdurch einen einjährigen Waffenstillstand, den sie auf drei Jahre verlängern konnte. Im Gegensatz zu ihrer Tante war sie eine orthodoxe Chalkedonierin, die die Monophysiten, für die sich Theodora ihr ganzes Leben lang sehr eingesetzt hatte, verfolgen ließ. Sehr geschickt war sie zudem, wenn es um die Finanzen ihres Reiches ging. Ihr Adoptivvater Justinian hinterließ nämlich nach seinem Tode leere Staatskassen. Sophia führte deshalb ein striktes Sparprogramm ein, das sie bei ihren schwerreichen Untertanen, die wieder höhere Steuern zahlen mussten, sehr unbeliebt machte.

Da ihr Sohn Justin bereits vor 565 und ihre Tochter Arabia vor Dezember 574 gestorben waren, adoptierte sie mit ihrem Gatten im Dezember 574 einen Mann namens Tiberios Konstantinos als Sohn und Nachfolger, der im Falle von Justins II. Tod der nächste oströmische Kaiser werden sollte. Als Justin II. im Oktober 578 starb und ihr Adoptivsohn der nächste oströmische Kaiser wurde, entfernte Letzterer sie von den Schalthebeln der Macht. Nachdem auch das Leben von Tiberios Konstantinos bereits im August 582 endete, wurde Sophia, die in ihrem Volk hohes Ansehen genoss, vom Senat gebeten, auch dessen Nachfolger zu wählen. Sie entschied sich für den erfahrenen General Maurikios (539 – 602) und zog sich danach – in diesem Fall freiwillig – erneut völlig von der Öffentlichkeit zurück. Sie starb um 601 oder 602, als es wieder einmal politisch sehr unruhig im oströmischen Reich wurde.


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