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Alltagsgeschichte des Mittelalters

V. 6. Die Liebeszaubermittel

Wer seine Angebetete oder seinen Angebeteten nicht mit seiner äußeren Erscheinung für sich gewinnen konnte, versuchte es letztendlich mit allerlei Zaubermitteln und schmückte sich mit pflanzlichen Produkten wie der Alraune oder der weißen Lilienwurzel oder stellte Liebesäpfel her.

"Die Liebesäpfel verfertigt man also: An einem Freytag früh vor Sonnen-Aufgang gehe in einen Baumgarten, und pflücke von einem Baum den schönsten Apfel, den du kannst; hierauf schreib mit deinem Blut auf ein Stückchen weiß Papier deinen Namen und Zunamen, und in die folgende Linie den Namen und Zunamen deiner Geliebten. Dann nimm drey Haare von deiner Geliebten und drey von den deinigen zusammen, und binde diesen Zettel mit einem andern damit zusammen, auf dem weiter nichts als das Wort SchEVA mit deinem Blut geschrieben steht. Hierauf spalte den Apfel entzwei, nimm die Kerne heraus, und lege an ihre Stelle deine beyden mit den Haaren verbundenen Zettelchen hinein. Mit zweyspitzigen Spießchen von grünem Myrthenholz vereinige die beyden Hälften des Apfels wieder genau mit einander, und laß ihn wohl trocknen im Ofen, so, daß er hart und ganz ohne Feuchtigkeit werde wie die trockenen Fasten-Äpfel. Endlich wickle ihn in Lorbeer- und Myrthenblätter und trachte, daß du ihn unter das Kopfkissen deiner Geliebten in ihr Bett legest, jedoch ohne daß sie es bemerke, und bald wirst du Proben ihrer Liebe empfangen." (in: Max Bauer, Liebesleben in deutscher Vergangenheit, Berlin 1924, S. 351/352)

Wer keine Äpfel, Birnen oder anderes Obst zur Verfügung hatte, konnte das ganze auch mit Achselhaaren und einem Stückchen Brot oder einem Brötchen ausprobieren. Auch die Asche eines verschwitzten seidenen Halstuches, in Speisen und Getränke gegeben, sollte die gleiche Wirkung zeigen.

Aber das waren noch nicht alle Tricks. Wie wäre es mit einem "Liebeskuchen"?

Burchard von Worms beschreibt, wie Frauen sich nackt auf Weizen wälzen, ihn zur Mühle gegen die Sonne mahlen lassen und aus diesem Mehl die "Liebesbissen-Brote" backen.

"Wenn man die Hostie im Munde, oder mit Lippen, die mit Chrisam bestrichen sind, jemand küßt, so erzeugt das Liebe!" (in: Heinrich Bruno Schindler, Der Aberglauben des Mittelalters, Breslau 1858, S. 106)

Am wirksamsten schien aber die Frauenmilch zu sein!

"In der obern Pfalz hat sich, wie landkundig, zugetragen, daß ein Pfaff sich in eine ehrliche Bürgersfrau verliebt, und, da sie in dem Kindbett gelegen, von ihrer Magd, der er etliche Dukaten geschenkt, etliche Tropfen von der Frauenmilch begehrt. Sie gab ihm aber Geißenmilch. Was er damit getan, ist unbewußt, das aber hat er erfahren, daß ihm die Geiß in die Kirch bis vor den Altar und bis auf den Predigtstuhl nachgelaufen, was die Frau zweifelsohne hätte tun müssen, so er ihre Milch zuwegen gebracht. Er konnte des Tiers nicht ledig werden, bis er es kaufte und schlachten ließ." (in: Max Bauer, ebenda, S. 351)

Selbst Kirchenväter wie Albertus Magnus konnten bezüglich Liebeszaubermittel Ratschläge erteilen: "Wenn einer ein Schwalben-Hertz bey sich trage, so werde er von jedermann geliebt werden. Und wenn ein Ehe-Mann ein gedörret Tauben-Hertz zu Pulver gemacht, seinem Weibe zu essen gebe, so sey er ihrer Gegen-Liebe versichert." (in: Max Bauer, ebenda, S. 352/353)

Die Zauberliebestränke waren selbst noch in der Neuzeit groß in Mode, auch wenn sie kirchlicher- wie staatlicherseits verboten und hart bestraft wurden.

Die Mutter von Isolde, der späteren Geliebten von Tristan, braute einen Liebestrank aus Nachtschatten, Safran, Myrrhe und Bilsenkraut. Nebenbei bemerkt, vom Trinken dieses Gebräues muß dringendst abgeraten werden, denn Bilsenkraut und die meisten Nachtschattengewächse sind hochgiftige Pflanzen!

Ja und um die Liebe so richtig zum "Glühen" zu bringen, benötigte man männlicherseits vielleicht noch einige Potenzsteigerungsmittel. Hierbei wurden auf pflanzlicher Basis der Verzehr von Löwenmaul, eingemachtem Ingwer, Tulpenzwiebeln, gewöhnlichen Zwiebeln, Kichererbsen, Anis, Lauch, Fenchel, Gartenmünze, Distel, Rüben, Möhren, Safran, Pfeffer und von Hauswurz empfohlen. Auf tierischer Basis boten sich Sperlingsbraten und gebratene Hoden eventuell sogar noch mit den Geschlechtsgliedern von Hähnen, Haselhühnern, Hirschen und Wölfen an.

"Die natürliche Ruthe von einem Wolf gebraten und klein geschnitten, eingenommen, soll das eheliche Werk befördern, wann es dabey an Kräfften ermangeln will." (in: Max Bauer, ebenda, S. 355)

Wie lange eine Frau noch auf ihre Heirat warten mußte, konnte sie angeblich herausbekommen, wenn sie zu Johannis (am 24.6.) in der Mittagsstunde zwischen 11 und 12 Uhr auf eine Wiese ging, um aus neun verschiedenen Pflanzenarten, unter denen Winde, Storchschnabel und Feldraute nicht fehlen durften, einen Kranz zu winden, den sie mit einem in derselben Zeit gesponnenen Faden band. War dieser Kranz fertig, warf sie ihn rückwärts an einen Baum. So oft er geworfen wurde und nicht hängenblieb, so viele Jahre dauerte es noch, ehe sie geheiratet wurde. Falls einige Frauen in der Zwischenzeit ihre Jungfräulichkeit verlieren sollten, riet der Fachmann, in der Brautnacht eine Fischblase, gefüllt mit Taubenblut, statt des verlorenen Jungfernhäutchens zu verwenden.

Das Schlußwort dieses Kapitels soll der berühmte italienische Schriftsteller Giovanni di Boccaccio († 1375) haben, der wie kein anderer Schriftsteller seiner Zeit in seinen Kurzgeschichten die Freude und den Spaß seiner Zeitgenossen am Sex auf humorvolle Art und Weise wiederzugeben wußte:
"Vor ein paar Jahren war in Barletta ein Priester, Don Gianni di Barolo genannt, der, weil er eine arme Pfaffe hatte, um seinen Unterhalt zu beschaffen, anfing, mit einer beladenen Stute hier und dort die apulischen Märkte zu besuchen und Waren zu kaufen und zu verkaufen. Dabei kam er in vertrauten Umgang mit einem, der sich Pietro da Tresanti nannte und dasselbe Gewerbe mit einem Esel betrieb, und diesen Pietro nannte er zum Zeichen seiner Gewogenheit und Freundschaft nach apulischer Sitte nicht anders als Gevatter Pietro; und so oft der nach Barletta kam, führte er ihn in sein Pfarrhaus und beherbergte ihn dort und erwies ihm alle möglichen Aufmerksamkeiten. Gevatter Pietro wieder, der ein armer Mann war und in Tresanti nur ein so kleines Häuschen hatte, daß es kaum für ihn und sein hübsches junges Weib und seinen Esel genügte, führte Don Gianni jedesmal, wenn der in Tresanti war, in sein Häuschen und bezeigte sich gegen ihn so aufmerksam, wie er nur konnte, zur Vergeltung der Aufmerksamkeiten, die ihm in Barletta zuteil wurden. Was aber die Beherbergung betraf, so konnte ihm Gevatter Pietro, der nur ein kleines Bett hatte, wo er mit seinem hübschen Weibe schlief, nicht so viel Ehre erweisen, wie er gewollt hätte, sondern Don Gianni mußte, nachdem er seine Stute in einem Ställchen neben dem Esel eingestellt hatte, mit ein wenig Stroh neben ihr vorlieb nehmen. Die Frau, die wußte, was für Aufmerksamkeiten der Priester ihrem Manne in Barletta erwies, hatte mehrere Male, wenn der Priester gekommen war, zu einer Nachbarin, die Zita Garapresa di Giudice Leo hieß, schlafen gehn wollen, damit er bei ihrem Manne im Bett schlafen könne, und hatte das dem Priester zu often Malen gesagt, aber er hatte das nie annehmen wollen; und als sie es ihm wieder einmal anbot, sagte er: ‚Gevatterin Gemmata, mach dir meinethalben keine Sorgen, denn mir geht's sehr gut; wenn es mir beliebt, verwandle ich meine Stute in ein hübsches Mägdlein und unterhalte mich mit ihr, und wann ich dann will, verwandle ich sie wieder in die Stute, und darum trenne ich mich nicht von ihr.‘ Die junge Frau verwunderte sich und glaubte es und sagte es ihrem Manne und fügte bei: ‚Wenn er dir wirklich so freund ist, wie du sagst, warum läßt du dich nicht diese Beschwörung lehren? Da könntest du eine Stute aus mir machen und dein Geschäft mit dem Esel und mit der Stute betreiben, und wir würden noch einmal so viel einnehmen, und wann wir dann nach Hause kämen, könntest du mich wieder zu einem Weibe machen, wie ich bin.‘ Gevatter Pietro, der eher ein Dummkopf war als etwas andres, glaubte alles und ging auf ihren Vorschlag ein und drang nun, so gut er es nur verstand, in Don Gianni, er solle ihm das lehren. Don Gianni gab sich alle Mühe, ihm diese Dummheit auszureden; da es ihm aber nicht gelang, sagte er endlich: ‚Weil ihr's denn durchaus wollt, so werden wir morgen, so wie wir es im Brauche haben, vor Tag aufstehn, und ich werde es euch zeigen, wie es gemacht wird. Das Schwierigste dabei aber ist wahrhaftig, den Schwanz anzusetzen, wie du sehn wirst.‘ Gevatter Pietro und Gevatterin Gemmata, die vor lauter Ungeduld kaum ein Auge zugemacht hatten, standen, als es Tag werden wollte, auf und riefen Don Gianni, und der kam im Hemde, wie er aufgestanden war, in die Kammer Gevatter Pietros und sagte: ‚Auf der ganzen Welt weiß ich niemand sonst, dem ich das täte, als euch, und darum, weil ihr's denn durchaus wollt, werde ich es tun; aber dabei müßt ihr wahrlich alles tun, was ich euch sage, wenn ihr wollt, daß es einen Erfolg habe.‘ Sie sagten, sie würden alles tun, was er sage. Don Gianni nahm also ein Licht, gab es Gevatter Pietro in die Hand und sagte: ‚Gib gut acht, wie ich es mache, und behalte genau im Gedächtnis, was ich sage, und hüte dich, wenn du nicht alles verderben willst, ein einziges Wörtlein zu sprechen, was du auch hörst und siehst, und bete zu Gott, daß sich der Schwanz leicht ansetzen lasse.‘ Pietro nahm das Licht und sagte, er werde es schon gut machen. Nun ließ Don Gianni die Gevatterin Gemmata sich splitternackt ausziehn und sich auf Händen und Füßen hinstellen, wie die Stuten stehn, indem er sie gleicherweise unterwies, kein Wort zu reden, was auch geschehe; und dann begann er ihr mit den Händen über das Gesicht und den Kopf zu streichen und zu sagen: ‚Das sei ein schöner Stutenkopf‘, und über die Haare streichend: ‚Das sei eine schöne Stutenmähne‘, und über die Arme: ‚Das seien schöne Stutenbeine und Stutenfüße‘, und als er dann über die Brust strich und sie fest und rund fand, erwachte einer, den niemand gerufen hatte, und stand auf, aber er sagte: ‚Das sei eine schöne Stutenbrust‘, und so machte er's mit dem Rücken und dem Bauche und dem Kreuze und den Lenden und den Beinen. Und zuletzt, als ihm nichts mehr sonst zu machen übrigblieb als der Schwanz, hob er das Hemd und nahm den Nagel, womit er die Menschen pflanzte, und führte ihn hurtig in die Furche, die dazu bestimmt ist, und sagte: ‚Das sei ein schöner Stutenschwanz.‘ Gevatter Pietro, der bis jetzt alles aufmerksam beobachtet hatte, sagte, als er diesen Abschluß sah, der ihm nicht wohl gefiel: ‚Don Gianni, ich will keinen Schwanz, ich will keinen Schwanz!‘ Schon war jedoch der Wurzelsaft, der alle Keime wachsen läßt, gekommen, als ihn Don Gianni herauszog und sagte: ‚O weh, Gevatter Pietro, was hast du gemacht? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst kein Wort sprechen, was immer du siehst? Die Stute war schon fast fertig, und du mit deinem Schwatzen hast alles verdorben, und für heute ist keine Möglichkeit mehr, es wieder instand zu bringen.‘ Gevatter Pietro sagte: ‚Meinetwegen, ich habe den Schwanz nicht haben wollen; warum habt Ihr nicht zu mir gesagt: Mach du ihn? Und dann habt Ihr ihn auch zu tief angesetzt.‘ Don Gianni sagte: ‚Weil du ihn das erste Mal nicht so gut hättest ansetzen können wie ich.‘ Als die junge Frau diese Reden hörte, stand sie auf und sagte treuherzig zu ihrem Manne: ‚Du Schafskopf, der du bist! Warum hast du denn dir und mir den Handel verdorben? Hast du schon je eine Stute ohne Schwanz gesehn? So wahr mir Gott helfe, du bist ja arm, aber dir geschähe ganz recht, wenn du noch viel ärmer wärest.‘ Da nun wegen der Worte, die Gevatter Pietro gesprochen hatte, keine Möglichkeit mehr war, die Frau in eine Stute zu verwandeln, kleidete sie sich bekümmert und mißmutig wieder an, und Gevatter Pietro machte sich daran, sein Gewerbe in der gewohnten Weise mit einem Esel zu betreiben und ging mit Don Gianni auf den Markt von Bitonto; und diesen Dienst verlangte er nimmer wieder von ihm." (in: Giovanni di Boccaccio: Das Dekameron, Bd. 2, Frankfurt a. M., 198912, S. 821-825)


Lesetipps:
  • Abaelard: Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloisa, herausgegeben von Eberhard Brost. München 1987 (sehr gut!)
  • Bauer, Max: Liebesleben in deutscher Vergangenheit. Berlin 1924 (sehr gut!)
  • Becker, Gabriele u.a: Aus der Zeit der Verzweiflung - Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes. Frankfurt a. Main 1977 (sehr gut!)
  • Browe, Peter: Beiträge zur Sexualethik des Mittelalters. Breslau 1932
  • Denzler, Georg: Die verbotene Lust. München 1988 (sehr gut!)
  • Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter. München 1984
  • Eschenbach, Wolfram von: Parzival. Stuttgart 1965
  • Fuchs, Josef: Die Sexualethik des heiligen Thomas von Aquin. Köln 1949 (sehr gut!)
  • Lorris, Guillaume de: Der Rosenroman, übersetzt und eingeleitet von Gustav Ineichen, herausgegeben von Hugo Moser, Hartmut Steinecke, Heft 1, Berlin 1987 (3. Auflage) (sehr gut!)
  • Martin, Alfred: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906 (sehr gut!)
  • Ploss, Heinrich H.: Zur Geschichte, Verbreitung und Methode der Fruchtabtreibung. Leipzig 1883
  • Ranke-Heinemann, Uta : Eunuchen für das Himmelreich. Hamburg 1988 (sehr gut!)
  • Schimmelpfennig, Bernd: Zölibat und Lage der "Priestersöhne" vom 11.-14. Jh., S. 1-44, in: Historische Zeitschrift, Bd. 227, 1978
  • Schubart, Walter: Religion und Eros. München 1941
  • Sprandel, Rolf: Die Diskriminierung der unehelichen Kinder im Mittelalter, S. 487-502, in: Zur Sozialgeschichte der Kindheit, herausgegeben von Jochen Martin und August Nitschke. Freiburg, München 1986
  • Strätz, Hans-Wolfgang: Der Verlobungskuss und seine Folgen - rechtsgeschichtlich gesehen. Konstanz 1979
  • Ussel, Jos van: Sexualunterdrückung. Geschichte der Sexualfeindschaft. Hamburg 1970
  • Voragine, Jacobus a: Legenden von Heiligen und Märtyrern. München 1988 (sehr interessant!)

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