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Alltagsgeschichte des Mittelalters

V. 5. Die Liebe

Jetzt ist aber genug über die Ehe und die Sexualität gesprochen worden. Wie sah es denn mit der Liebe im Mittelalter aus? Gab es so etwas wie die ganz große Liebe?

Beim Zustandekommen der damaligen Ehen wird die Liebe wohl kaum der Grund für eine Eheschließung gewesen sein. Auch in den Ehen herrschte wohl selten eine Liebesbeziehung zwischen den Gatten. Man gewöhnte sich mehr oder weniger an den von den Eltern ausgesuchten Ehepartner, respektierte ihn, zeugte mit ihm die Kinder. Richtige "Liebesehen" wie beim Landgrafen Ludwig IV. von Thüringen und der später heiliggesprochenen Elisabeth und bei Heinrich von Braunschweig und Agnes waren im Mittelalter nicht häufig zu finden.

Die Heilige Elisabeth († 1231), eine Tochter vom ungarischen König Andreas II. († 1235), wurde im Alter von vier Jahren mit dem ältesten Sohn des Landgrafen von Thüringen verlobt. Nach althergebrachter Sitte wuchs sie als Braut bei ihren zukünftigen Schwiegereltern auf. Mit 14 Jahren wurde sie nach dem Tod ihres Verlobten mit dessen Bruder Ludwig († 1227) verheiratet. Mit 20 Jahren verlor sie ihren über alles geliebten Mann auf seinem Weg zum vierten Kreuzzug. Vier Jahre später folgte sie ihm.

Agnes, Tochter vom Pfalzgrafen Konrad († 1195) und Nichte von Friedrich Barbarossa, hatte sich 1194 gegen den Willen ihres gestrengen Vaters, aber mit Unterstützung ihrer Mutter mit Heinrich von Braunschweig, dem ältesten Sohn Heinrichs des Löwen, vermählt. Agnes und Heinrich waren schon als Kinder miteinander verlobt worden. Aus dieser von den Eltern bestimmten Verbindung entwickelte sich mit der Zeit ein Gefühl der Zuneigung, ja schließlich der Liebe! Als Agnes dynastischerseits eine andere Heirat eingehen sollte, weigerte sie sich strikt und hielt zu ihrem Verlobten.

Eine andere berühmte Liebesbeziehung, die im Mittelalter in aller Munde war, bestand zwischen dem Geistlichen Abaelard und der späteren Äbtissin Heloisa. Petrus Abaelard, der berühmte Theologe und Philosoph der Scholastik, wurde im Jahre 1079 als ältestes Kind eines Ritters namens Berengar und seiner Frau Lucia geboren. Unüblich für seinen Stand wurde er zu Hause eher wissenschaftlich geschult, als im Fechten, Jagen und Kämpfen unterrichtet. So war es nicht überraschend, daß Abaelard sich als junger Mann für die wissenschaftliche Laufbahn entschied. Als Kenner der Philosophie wurde er schon bald bekannt, geschätzt und von seinen Konkurrenten gefürchtet. Doch plötzlich brachte eine Frau namens Heloisa sein bisher frauenloses Leben durcheinander. Der Onkel der 18-jährigen Heloisa, der Kanoniker Fulbert, hatte den 38-jährigen Abaelard nämlich im Jahre 1117 als Hauslehrer seiner Nichte eingestellt. Aber aus dem Lernen und Unterrichten wurde nichts, denn beide, Lehrer wie Schülerin, waren Feuer und Flamme. Abaelard beschrieb diese Zeit folgendermaßen: "In unserer Gier genossen wir jede Abstufung des Liebens, wir bereicherten unser Liebesspiel mit allen Reizen, welche die Erfinderlust ersonnen. Wir hatten diese Freuden bis dahin nicht gekostet und genossen sie nun unersättlich in glühender Hingabe, und kein Ekel wandelte uns an ... Du (gemeint ist Heloisa) weißt, in welche Schamlosigkeit wir durch meine zügellose Gier gerieten. Ich wälzte mich geradezu wie ein Tier in diesem Morast, sogar in der Karwoche und an den höchsten Festtagen, ohne auf die mahnende Stimme des Schamgefühls und der Gottesfurcht zu hören. Ich ging sogar so weit, Dich durch Drohungen und Schläge des öfteren gefügig zu machen, wenn Du nicht mithalten wolltest, wenn Du Dich zur Wehr setztest, soweit es Deine schwache Kraft zuließ, und wenn Du, das schwache Weib, mich batest, einmal zu verzichten ..." (in: Abaelard, ebenda, S. 21 und S. 132)

Etwa ein Jahr später kam, was kommen mußte. Heloisa war schwanger geworden. Auf Abaelards Veranlassung floh sie in diesem Zustand zu seiner Schwester in die Bretagne. Kurz darauf heirateten die beiden heimlich. Da Abaelard weiterhin wissenschaftlich tätig sein wollte, und Wissenschaft und Ehe nach damaliger Auffassung unvereinbar schienen, versteckte er Heloisa kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Astrolabius im Jahre 1119 in dem Kloster Argenteuil. Heloisas Onkel, der keine Ahnung von der Heirat hatte, glaubte, daß Abaelard seine Geliebte auf diese billige Art und Weise loswerden wollte. Aus Wut ließ er deshalb Abaelard, nachdem dieser ergriffen werden konnte, entmannen.

Heloisa blieb weiterhin im Kloster und wurde, wie Abaelard es von ihr wünschte, Nonne. Eine unglückliche Nonne, die ihr ganzes Leben hindurch von der kurzen, aber so glücklichen Zeit mit ihrem Geliebten träumte: "Die Liebesfreuden, die wir zusammen genossen, sie brachten so viel beseligende Süße, ich kann sie nicht verwerfen, ich kann sie kaum aus meinen Gedanken verdrängen. Ich kann gehen, wohin ich will, immer tanzen die lockenden Bilder vor meinen Augen. Mein Schlaf ist nicht einmal sicher vor solchen Trugbildern. Sogar mitten im Hochamt drängen sich diese wollüstigen Phantasiegebilde vor und fangen meine arme, arme Seele so ganz und gar; aus reinem Herzen sollte ich beten, statt dessen verspüre ich die Reizungen meiner Sinnlichkeit. Ich kann nicht aufseufzen – und müßte es doch –, daß ich die Sünden begangen, ich kann nur seufzen, daß sie vergangen." (in: Abaelard, ebenda, S. 109/110)

Im Jahre 1129, Heloisa war zur Priorin aufgestiegen, mußte sie mit ihren Nonnen von heute auf morgen auf Befehl des Abtes von Denis das Kloster verlassen.

1135 erfuhr Abaelard von ihrem Schicksal und meldete sich nach 16 Jahren Schweigen zum erstenmal wieder bei Heloisa, um ihr und ihren Schwestern sein Bethaus Paraklet mit dem dazugehörigen Besitz zu übereignen. Nach 16 Jahren Trennung begann ein Briefwechsel zwischen den beiden, der sehr lesenswert ist.

Heloisa, die nie Nonne werden wollte und sich um ihr Leben betrogen fühlte, sparte nicht mit Vorwürfen ihm gegenüber. Aber auch ihre sexuellen Wünsche, ihre Sehnsüchte nach dem Mann, den sie in all den Jahren zu lieben nicht aufgehört hatte, füllten die Briefseiten. Auf Drängen Heloisas kam es schließlich auch zu Begegnungen zwischen den beiden. Aber es konnte niemals so werden wie zuvor!

Abaelard, der im Kloster Cluny lebte, hatte in der Zwischenzeit Schwierigkeiten mit der Kirche bekommen, denn sein großer Gegenspieler Bernhard von Clairvaux ließ ihn als Ketzer diffamieren und bewirkte zudem, daß er durch Papst Innozenz II. zum ewigen Schweigen verurteilt wurde. Am 21.4.1142 starb Abaelard im Alter von 63 Jahren in Chalon (Burgund), wo er kurz zuvor wegen eines Hautausschlages und wegen körperlicher Beschwerden hingeschickt worden war. Bestattet wurde er im Kloster Paraklet, in dem Heloisa als Äbtissin wirkte und ihn nun endlich für immer bei sich hatte. Am 15. oder 17.5.1163/64 endete schließlich mit ihrem Tod die unglückliche Liebesbeziehung zwischen den beiden.

Buchtipp: Abaelard – Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloisa, übertragen und herausgegeben von Eberhard Borst, München 19874.

Ebenfalls traurig endete die Liebesehe zwischen der Augsburger Baderstochter Agnes und dem Herzog Albrecht III. von Bayern-München († 1460), dem einzigen Sohn von Herzog Ernst I. († 1438). Das Liebes- und Eheverhältnis zwischen den beiden begann um 1430. Die erste Begegnung fand wahrscheinlich um die Fastnachtszeit 1428 statt. Im Juli 1432 jedenfalls wohnte Agnes in Albrechts alter Veste in München. Auch eine Tochter namens Sibylla war bereits aus dieser Beziehung hervorgegangen. Eine Nachfolge auf den Herzogsstuhl von Bayern-München für einen Sohn aus dieser Ehe war jedoch nach adligem Standes- und Geblütsrecht undenkbar. Da Albrecht jedoch der einzige Sohn seines Vaters Ernst I. war, ließ dieser, weil Agnes sich von ihrem Mann nicht scheiden lassen wollte, seine Schwiegertochter in Straubing gefangennehmen und in einem Schnellverfahren des Liebes- und Schadenszaubers anklagen. Seinen Sohn hatte er zuvor mit einer List – er lud ihn zu einem Jagdvergnügen ein – weggelockt. Agnes wurde gleich nach dem Schnellgericht am 12.10.1435 als Hexe ertränkt. Am 6.11.1436 heiratete Albrecht III. endlich standesgemäß und nach dem Wunsch seines Vaters Anna, die Tochter des Herzogs Erich von Braunschweig.

Wenn es im Mittelalter auch nur wenige Liebesehen oder Liebesbeziehungen gab, Liebesgeschichten waren reichlich vorhanden! Die berühmtesten Liebesromane waren "Tristan und Isolde" und "Lancelot und Ginevra". Das Epos Tristan und Isolde wurde 1220 von Gottfried von Straßburg begonnen und nach seinem Tode von Ulrich von Türheim und von Heinrich von Freiberg zu Ende geschrieben. Das Epos Lancelot und Ginevra wurde um 1225 von einem Unbekannten in altfranzösischer Prosaform verfaßt.

In beiden Epen, die im adligen Milieu spielen, handelt es sich um eine unerlaubte Beziehung zwischen einer verheirateten Frau und ihrem Liebhaber. Und wie fast alle mittelalterlichen Liebesgeschichten enden sie traurig!

So berichtet auch Christine de Pizan († 1430), die große Schriftstellerin des 14./15. Jhs., in ihrem Werk "Das Buch von der Stadt der Frauen" von zwei unglücklichen Liebesgeschichten.

Eine Erzählung könnte ohne weiteres die Überschrift "Romeo und Julia" erhalten, wenn die beteiligten Personen nicht "Pyramus und Thisbe" heißen würden. Diese Geschichte entnahm die Schriftstellerin Ovids "Metamorphosen". In Babylon lebten einst zwei reiche und vornehme Familien sozusagen Tür an Tür, die zwei wunderschöne Kinder hatten, nämlich Pyramus und Thisbe. Im Alter von sieben Jahren empfanden die beiden schon Zuneigung zueinander und spielten sehr gerne zusammen und freuten sich auf jedes Wiedersehen. Aus Freundschaft wurde bald Liebe, und Thisbes Mutter hatte natürlich arge Angst um die Unschuld ihrer Tochter. Deshalb ließ sie Thisbe einsperren. Thisbe und Pyramus aber hatten großes Verlangen nacheinander. Und Frau Fortuna half ihrem Wunsch nach, indem sie die Mauer, die beide trennte, durch einen Riß öffnete. Die Liebenden konnten wieder miteinander sprechen und Pläne schmieden. Eines Nachts wollten sie sich an einer Quelle außerhalb der Stadt treffen. Thisbe erschien dort zuerst und vernahm plötzlich das Brüllen eines Löwen. Aus Angst floh sie hinter das nächstliegende Gebüsch und verlor auf der Flucht ihr weißes Kopftuch. Just gerade auf dieses Tuch mußte der Löwe seine halbverdaute Speise erbrechen. Und nun kann sich jeder, der "Romeo und Julia" kennt, denken, was geschah. Bevor Thisbe wagte, ihr Versteck zu verlassen, erschien Pyramus, sah das weiße Kopftuch seiner Geliebten und das erbrochene Fleisch, das er für Thisbe hielt, und brachte sich kurz entschlossen mit seinem eigenen Schwert um. Thisbe, die aus ihrem Versteck hervorkam, konnte ihm nicht mehr helfen. Mit ihrem weißen Tuch in der Hand starb ihr Geliebter vor ihren Augen. Ohne ihn aber wollte auch sie nicht mehr leben und brachte sich mit demselben Schwert neben Pyramus um.

Eine andere Geschichte, die von Boccaccio stammte und von Christine de Pizan nacherzählt wurde, handelt von der Liebe zwischen einer Fürstentochter namens Ghismonda und einem Knappen namens Guiscardo. Ghismondas Vater, der Fürst von Salerno, liebte seine Tochter so abgöttisch, daß er sie mit niemandem verheiraten wollte. Als der Herzog von Capua höchstpersönlich um ihre Hand bat, gab der Fürst schließlich nach. Bevor aber die Ehe geschlossen werden konnte, starb der zukünftige Schwiegersohn, und der Fürst hatte seine Tochter wieder für sich ganz allein. Diese aber, sich ihrer Schönheit und ihres jungen Alters bewußt, sehnte sich nach Liebe und einer sexuellen Beziehung. Auf dem Hof ihres Vaters lebte ein Knappe namens Guiscardo, der ihr sehr gefiel. Nachdem sie über diesen Erkundigungen eingezogen hatte, die bestätigten, daß der Knappe "treu, gütig und rechtschaffen" war, bat sie ihn schließlich um seine Liebe. Die beiden trafen sich von nun an heimlich und verbrachten eine glückliche Zeit miteinander, bis - ja, bis Ghismondas Vater aus Versehen hinter diese Beziehung kam. Vor Wut ließ er jenen Guiscardo gefangennehmen und foltern und machte seiner Tochter den Vorwurf, daß sie "den Geringsten seines Hofes" zum Geliebten gewählt und ihren Ruf geschändet hätte. Ghismonda versuchte ihrem Vater zu erklären, daß sie auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut wäre und sich nach körperlicher Liebe sehnen würde. Da er ihr aber die Ehe bisher verwehrt hätte, hätte sie sich selbst nach einem Mann umschauen müssen. Ihren Geliebten Guiscardo träfe keine Schuld, denn sie hätte ihn zu dieser Beziehung überredet und müßte deswegen statt seiner bestraft werden. Der Vater blieb jedoch uneinsichtig, ließ Guiscardo töten und sein Herz in einem goldenen Gefäß zu Ghismonda bringen, um an dieser seinen Zorn und seine Wut auszulassen. Jene indessen küßte das Herz des Geliebten und beging anschließend durch Einnahme eines Giftgetränkes Selbstmord. So rächte sie sich am Vater, der durch die von ihm verordnete Ermordung Guiscardos auch gleichzeitig seine über alles geliebte Tochter verlor.

Auch eines der schönsten Liebesgedichte, das je geschrieben wurde, entstand im 12. Jh. Es lautet:

Du bist min, ich bin din:
des solt du gewis sin.
Du bist beslozen
in minem Herzen;
verlorn ist daz Slüzzelin:
du muost immer drinnen sein.


Lesetipps:
  • de Pizan, Christine: Das Buch von der Stadt der Frauen, Berlin 19872
  • Lancelot und Ginevra, nacherzählt von Ruth Schirmer. Zürich 1961
  • Der Roman von Tristan und Isolde, nacherzählt von Ruth Schirmer. Zürich 19843
  • Boccaccio, Giovanni di: Das Dekameron, Bd.1, Frankfurt a. Main 198913 und Bd. 2, 198912

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