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Alltagsgeschichte des Mittelalters

IX. 2. Die geistige Ausbildung des weiblichen Geschlechtes

Die Mädchen erhielten, wenn sie nicht gerade von Adel waren und ihnen Privatunterricht erteilt wurde, keine geistige Ausbildung. "Sorge dafür, daß er (der Junge) mit sechs oder sieben lesen lernt, und laß ihn entweder studieren oder das Gewerbe erlernen, das ihm die meiste Freude macht. Handelt es sich um ein Mädchen, so setze sie in die Küche und nicht hinter das Lesebuch, denn es schickt sich nicht für Mädchen, Lesen zu lernen, es sei denn, du willst, daß sie eine Nonne wird." (in: James Bruce Ross: Das Bürgerkind in den italienischen Stadtkulturen zwischen dem vierzehnten und dem frühen sechzehnten Jahrhundert, S. 263-325, in: Hört ihr die Kinder weinen, Frankfurt a. M. 1977, S. 296).

So wie hier der italienische Kaufmann und Moralist Paolo da Certaldo (14. Jh.) seine Meinung über die Mädchenerziehung verkündet, konnte er der Zustimmung seiner Zeitgenossen sicher sein. Den Mädchen sollte man – so waren ihre Väter und Mütter sich einig – von Beginn an die einzig wahre Tugend, die ihnen not tat, einprägen: den absoluten Gehorsam gegenüber den Eltern und dem Gatten. Mit Ausnahme der zukünftigen Nonnen wäre – so die Meinung führender Geistlicher – es nicht notwendig, sie im Lesen und Schreiben zu unterrichten, denn zahlreiche Übel entstünden, wenn Frauen gebildet seien. Dagegen wäre die Unterweisung in Nähen und Weben auch für reiche Mädchen wünschenswert. Die oberste Sorge der Eltern bei der Erziehung ihrer Töchter sollte der sorgfältigen Überwachung ihrer Keuschheit gelten.

Sowieso war die Reaktion auf die Geburt eines Mädchens im Mittelalter alles andere als große Freude. Ein Mädchen zu gebären, war geradezu eine Strafe Gottes! Denn schließlich war jeder überzeugt, daß Frauen von Natur aus boshaft, lügnerisch, eitel, hochmütig, zanksüchtig, listig, heuchlerisch und ungebildet sind. Das Weib ist die Feindin jeder Freundschaft, eine unentrinnbare Strafe, eine Fehlkonstruktion der Natur.

Schon Aristoteles verkündete doch laut und deutlich, daß Jungen geboren werden, wenn der Samen für die Zeugung in Ordnung ist. Nur aus einem schadhaften Samen entwickelt sich ein Mädchen. Nach der Meinung des Heiligen Thomas von Aquin († 1274) müßte eigentlich jeder Mann ausschließlich männliche Kinder zeugen. Nur durch widrige Umstände z.B. durch feuchte Südwinde mit viel Niederschlägen produziere er während der Begattung Mädchen. Kurz und gut: die Frau ist nichts anderes als ein mißglückter Mann oder ein unvollkommener Mensch!

Und es war nicht nur der Heilige Thomas von Aquin, der meinte, daß die Frauen sowohl geistig als auch moralisch minderwertiger als der Mann seien. Die vielen Beispiele an intelligenten, tatkräftigen, unerschrockenen und politisch hochbegabten Frauen – seien es Fürstinnen wie die Herzogin Margarete Maultasch († 1369), die französische und englische Königin Eleonore von Aquitanien († 1204), die Herzogin Isabella von Portugal, die Gemahlin Philipp des Guten († 1467), und die spanische Königin Isabella die Katholische († 1504) oder Kriegerinnen wie Jeanne d'Arc († 1431), Margherita, die Tante von Francesco Sforza, und Bona da Lombarda († 1468) oder Äbtissinnen wie Hildegard von Bingen († 1179) und Roswitha von Gandersheim († nach 973) oder Schriftstellerinnen wie Christine de Pizan († 1430) und Ärztinnen wie Jacqueline Felicie de Alemania (14. Jh.) – überzeugten die Geistlichen nicht vom Gegenteil. Die medizinische Hochschule von Salerno, die als Ausnahme unter den italienischen Universitäten im Hochmittelalter Frauen aufnahm, hatte einige bedeutende Wissenschaftlerinnen hervorgebracht. Und 1436 konnte in Bologna eine Frau namens Dorotea Bocchi den medizinischen Lehrstuhl ihres Vaters übernehmen. Trotzdem sahen die Geistlichen in jeder Frau weiterhin gerade wegen ihrer fehlenden Bildung die Versuchung, die Ablenkung, das Hindernis der Männer auf ihrem Weg zur Heiligkeit und den Lockvogel des Teufels.

Nein, man erwartete sogar von der intelligenten Frau, daß sie ihre Bildung verbarg. "Wenn sie mehr Verstand hat, so soll sie den Anstand und die Weisheit besitzen, nicht zu zeigen, wieviel Verstand sie hat. Man will sie nicht als Herrscherin haben. Ein Mann soll in vielen Wissenschaften bewandert sein. Die Erziehung einer vornehmen Dame schreibt vor, daß eine Edelfrau, die anständig und von guter Abstammung ist, nicht zu viel Klugheit besitzt. Die Einfältigkeit steht den Damen gut an." (nach Thomas von Zirklaere, in: Joachim Bumke, Bd. 2, ebenda, S. 482/483).

Und Martin Luther empfahl den Frauen: "... wenn Weiber wolberedt sind, das ist an ihnen nicht zu loben; es steht ihnen baß an, daß sie stammeln und nicht wol reden können. Das zieret sie viel besser." (in: Gabriele Becker u.a., Zum kulturellen Bild und zur realen Situation der Frau im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Aus der Zeit der Verzweiflung – Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes, Frankfurt 1977, S. 21/22)

Letztendlich hatte die Diskriminierung der Frau durch die Macht und den Einfluß der Kirche für uns Frauen in allen Lebensbereichen schwerwiegende ökonomische, soziale und bildungspolitische Konsequenzen.

Einige Ehemänner und Väter des 15. und 16. Jhs. legten dagegen besonderen Wert auf gebildete Ehefrauen und Töchter. So stellte sich Conrad Peutinger, der 1498 Margarete Welser ehelichte, als erste "väterliche Aufgabe" die Weiterbildung und Förderung seiner Gattin. Auch seine Töchter wurden schon im zartesten Alter auf eine Zukunft als gelehrte Frauen vorbereitet. Die erst vierjährige Tochter Juliana nahm im Jahre 1504 die Konkurrenz mit den italienischen weiblichen Wunderkindern wie Alessandra Scala († 1506) oder Cassandra Fedele († 1558) auf, da sie anläßlich des Besuches des Kaisers Maximilian I. in Augsburg eine lateinische Begrüßungsansprache halten durfte. Juliana starb bald nach diesem Auftritt – vielleicht an Erschöpfung. Ihre Schwester Konstanze hatte daraufhin deren Nachfolge als "puella docta" (gelehrtes Mädchen) anzutreten.

Aber bei all den genannten Beispielen von gelehrten Töchtern erhält man den Eindruck, daß die Mädchen nicht um ihrer selbst willen an den Wissenschaften teilnehmen durften, sondern daß die Väter ihre Töchter zu Wunderkindern heranzüchteten, um durch sie noch mehr Ansehen zu erreichen – nach dem Motto, schaut wie gebildet ich bin, daß ich sogar das dumme weibliche Geschlecht zu geistigen Hochleistungen bringen kann.


Lesetipps:
  • Bücher, Karl: Die Frauenfrage im Mittelalter. Tübingen 1910 (2. Auflage)
  • Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter. München 1984
  • Hufnagel, Alfons: Die Bewertung der Frau bei Thomas von Aquin, S. 133-147, in: Theologische Quartalschrift 156, 1976
  • Kösterus, Friedrich: Frauenbildung im Mittelalter. Katholische Studien, Jg. 3., Würzburg 1877
  • Maurer, Margarete: Die Verdrängung der Frauen aus Naturwissenschaften und Technik, S. 234-256, in: Lila Schwarzbuch – Zur Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft, hrsg. von Anne Schlüter und Annette Kuhn. Düsseldorf 1986

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