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Alltagsgeschichte des Mittelalters

III. 3.1. Die alltäglichen und festlichen Freizeitbeschäftigungen der adligen Damen und Herren

Wenn die adligen Herren nicht gerade dem Aufruf ihres Lehnsherrn in einen Krieg folgen mußten oder in eigene Kämpfe mit ihren Nachbarn verwickelt waren, gab es eine ganze Reihe von Vergnügungen, denen sie und ihre Damen nachgehen konnten. Besonders beliebt war die Jagd, wobei man zwischen der Pirsch-, Hetz- und Falkenjagd unterschied. Gejagt wurden Wildschweine, Hirsche, Rehe, Hasen, Füchse, Wölfe, Bären und Luchse. Dazu wurden auch Fallgruben gestellt, die zur Tarnung mit Ästen und Zweigen abgedeckt wurden, oder Netze ausgelegt.

Auf der Falkenjagd, die besonders bei den Damen beliebt war, wurden durch die dressierten Falken Vögel wie Kraniche, Reiher, Schwäne, Trappen, Fasane, Brachvögel, Kiebitze, Stare, Lerchen, wilde Hühner, Tauben, Gänse und Enten erlegt.

Statt fand die Jagd im herrschaftlichen Forst, dessen Betreten der übrigen Bevölkerung unter schwerer Strafandrohung verboten wurde. Zudem hatten die Bauern kein Recht, das Wild zu vertreiben, wenn es sich auf ihre Felder begab und die junge Saat niedertrampelte. Falls das zu erlegende Wild während der Jagd auf die bäuerlichen Äcker flüchtete, wurde es dort weiter gehetzt, egal wie anschließend die Felder aussahen. Außerdem wurden, um die Jagdgebiete noch zu erweitern, den Bauern Grundstücke, Weiden und Ackerflächen genommen. Im 12. Jh. war somit bereits die Hälfte ganz Englands zum herrschaftlichen Forst erklärt worden.

Neben der Jagd war bei den edlen Herren noch die Vogelstellerei beliebt, weniger dagegen der Fischfang, den sie von ihren Knechten erledigen ließen.

Nach solchen Jagdveranstaltungen wurde – im wahrsten Sinne des Wortes – fürstlich gespeist. Im 14. Jh. ließ man sich auch bei den Mahlzeiten etwas Außergewöhnliches einfallen. So stiegen gedeckte Tische aus dem Erdboden empor oder schwebten von der Decke herab. Seine Gäste mit stets Neuem zu verblüffen, war für jeden Gastgeber ein Muß! So soll auf einem Bankett eines gewissen Vidame de Chartres (14. Jh.) sich die himmelblau bemalte Decke des Speisesaales geöffnet haben und sollen die Speisen an Schienen aus den Wolken auf die Tafel herabgesunken sein. Ein künstlicher Sturm, der eine halbe Stunde andauerte, untermalte zudem noch das Dessert und ließ einen Regen von parfümierten Wasser und Hagel aus gesüßten Fleischstückchen auf die Gäste niedergehen.

Natürlich wurde man während der gesamten Mahlzeit von Musikanten und Sängern unterhalten und zwischendrin noch durch akrobatische Nummern, dressierte Tiere, Feuerfresser, Degenschlucker, Spaßmacher, Kunstreiter und Geschichtenerzähler erfreut.

Nach dem üppigen Essen entfernten die Diener das Mobiliar im Speisesaal, und es wurde zum Tanz gebeten, wobei eher langsame Tänze wie die Polonaise oder Reigentänze bevorzugt wurden, zu denen man stets mitsang. Grundregel beim Tanzen im Hochmittelalter war zudem, daß sich der Tanzpartner und seine zwei Tanzpartnerinnen nur mit den Fingerspitzen berührten. Trotzdem konnte die Geistlichkeit von der Harmlosigkeit des Tanzens nicht überzeugt werden. So meinte z.B. der Geistliche Konrad von Megenberg: "In der neuesten Zeit vertreiben Flöten und Trompeten zusammen mit ihrem Krach die sittsamen Fiedeln von den Festveranstaltungen, und zu dem lautstarken Getöne springen die Mädchen um die Wette, indem sie wie Hirschkühe die Hinterkeulen grob und unanständig bewegen." (Konrad von Megenberg, Ökonomik, Bd. 1, S. 256).

Schon der Bischof Ambrosius von Mailand warnte im Jahre 387 vor dem Tanzen. Sehr anschaulich beschrieb er das "öffentliche Gehüpfe" der Frauen, diese nämlich "führen auf öffentlichen Plätzen mit Männern gemeinsam schamlose Reigen im Anblick zügelloser Jünglinge auf. Wild schleudern sie ihr Haupthaar zurück, gürten die Tuniken, zerreißen das Obergewand, zeigen nackte Arme, klatschen mit den Händen, stampfen mit den Füßen, schreien mit ihren Stimmen durcheinander und reizen durch ihre Schauspielerschritte die Begierden der Jünglinge. Lüsternen Blickes und mit unziemlichen Witzen schaut der Kreis der Jünglinge zu. Ein erbärmliches Schauspiel! Indem die Tanzenden stürzen und die Zuschauer mit sich reißen, wird der Himmel durch einen unreinen Anblick beschmutzt. Die Erde, durch obszöne Tanzschritte mißhandelt, wird durch einen widerlichen Tanz besudelt." (in: Georg Denzler: Die verbotene Lust, München 1988, S. 230)

Leider hat sich ja bis heute die Ansicht über das Tanzen bei den Geistlichen noch nicht geändert. So wurde 1979 vom Augsburger Bischof Josef Stimpfle eine regelrechte Tanzenzyklika an alle Priester erlassen.

Das paarweise Tanzen kam – nebenbei bemerkt – erst im 15. Jh. auf und wurde schon bald darauf aus moralischen Gründen in vielen Städten verboten.

Außer dem Tanzen konnte man nach der Mahlzeit auch einer vorgetragenen Rittergeschichte lauschen oder sich dem Würfelspiel oder den beliebten Brettspielen widmen. Natürlich waren auch diese allesamt von der Kirche verboten worden, doch wie beim Tanzen scherten sich die adligen Herren und Damen nicht darum.

Die Würfelspiele, die in den Kreuzzügen als Glücksspiele in Mode gekommen waren und schon im dritten Kreuzzug für einfache Krieger und Seeleute verboten wurden, da sie häufig zur völligen Verarmung dieser Leute führten, waren ebenso beliebt wie die verschiedenen Brettspiele z.B. Dame, Trictrac oder Schach.

Das Schachspiel, das aus Indien stammte und über Arabien ins Abendland gelangte, gehörte seit dem 11. Jh. zu den besonderen Freizeitvergnügungen auf den Burgen. Das Schachbrett wurde aus Gold, Silber oder Elfenbein angefertigt, und die Schachfiguren, ebenfalls aus Gold, Silber, Elfenbein, Ebenholz oder Edelsteinen, fielen z.T. so groß aus, daß sie bei einem unerwarteten feindlichen Angriff als Schilde benutzt werden konnten.

Wen es von den Gästen nach draußen zog, der konnte im Burggarten beim Steinestoßen, beim Boule- oder Bocciaspiel und bei einem Kugelspiel, das unserem heutigen englischen Cricket ähnlich war, sein Glück versuchen. Auch ein anderes Ballspiel, bei dem man einen Lederball mit einer Art Keule wegschlagen mußte, war besonders beliebt.

Tennis wurde dagegen erst im 14. Jh. gespielt. Anfänglich wurde dabei der Ball noch mit der Handinnenfläche zurückgeschlagen. Erst 1495 wurde der erste Schläger erwähnt. Im Spätmittelalter war Tennis zudem das Spiel der Reichen, denn nur den Adligen und Mönchen war es erlaubt, diese Sportart zu betreiben. Tennisspieler aus dem bürgerlichen Stand, die beim Spielen ertappt wurden, mußten laut einer Verordnung von 1477 wegen Überschreitung ihrer Standeszugehörigkeit mit drei Jahren Gefängnis rechnen.

Neben all diesen genannten Freizeitbeschäftigungen wurde in Oberitalien bei festlichen Anlässen gern noch das Spiel "Minneburg" angeboten, bei dem die Damen sich in ihren künstlichen Burgen aus Fellen und kostbaren Stoffen gegen einen Angriff ihrer Verehrer verteidigen mußten, die sie mit Äpfeln, Birnen, Datteln, Muskatnüssen, kleinen Torten, Rosen, Lilien, Veilchen oder mit Parfümfläschchen bombardierten.

Philipp der Gute († 1467), einer der bedeutendsten Herzöge Burgunds, bot seinen Gästen auf seinem Landsitz in Hesdin, unweit Calais, außergewöhnliche Belustigungen an. Denn dort brachen unerwartet kleine Brücken zusammen, um den Besucher ins Wasser plumpsen zu lassen, oder es bliesen plötzlich emporwehende Luftwirbel die Kleider der Damen in die Höhe, oder Bücher pusteten ihren Lesern Staub in die Augen. Im sogenannten Jason-Raum wurden zudem Donner, Blitze und Regen erzeugt.

Aber keine dieser genannten Freizeitvergnügungen konnte es – was seine Beliebtheit anging – mit dem Turnier aufnehmen, auf dem die Ritter in Anwesenheit der Damen ihre Kräfte messen konnten.


Lesetipps:
  • Bumke, Joachim: Höfische Kultur - Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bände. München 1987 (4. Auflage) (sehr gut!)
  • Codex Manesse, hrsg. von Ingo F. Walther. Frankfurt a. Main 1988 (sehr gut)
  • Holme, Bryan: Der Glanz Höfischen Lebens im Mittelalter. Freiburg im Breisgau 1987 (sehr gut!)
  • De Limbourg, Paul und seine Brüder: Stundenbuch des Herzogs Jean de Berry, Buchreihe: Die großen Maler der Welt - Miniaturen - Kunstkreis, ohne Orts- und Zeitangabe (sehr gut)
  • Die Très Riches Heures des Jean Duc de Berry. München 1989
  • Wolf, J.: Die Tänze des Mittelalters, S. 10-42, in: Archiv für Musikwissenschaft 1, 1918/19

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