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Alltagsgeschichte des Mittelalters

III. 2.7. Die Erziehung zum Ritter

Im Laufe des Hochmittelalters wurde das Rittertum immer stärker idealisiert und verherrlicht. Seit der Regierungszeit Friedrich Barbarossas (König von 1152 - 1190) durfte sich nur noch derjenige zum Ritter weihen lassen, der nachweisen konnte, daß sich schon sein Vater und sein Großvater mit diesem Titel schmücken durften.

Sowohl der König und der Adel als auch die Kirche hatten gegenüber dem Ritter ihre Erwartungshaltungen. Der König wünschte ihn als mutigen, schnellen und starken Kämpfer. Die Kirche wollte ihn als "geistlichen Soldaten" gegen Ungläubige und Friedensbrecher einsetzen und forderte von ihm, stets auf Gottes Wegen zu wandeln und einen vorbildlichen Christen abzugeben. Die Ritter selbst verlangten von ihresgleichen, daß sie über gute Tischmanieren und die richtige Verhaltensweise im Umgang mit den Damen verfügten.

Kaiser Maximilian I. als Knabe
Abb. 39: Kaiser Maximilian I. als Knabe (rechts) beim Spielen

Bei all diesen Anforderungen ist es verständlich, daß die Erziehung der adligen Jungen nicht dem Zufall überlassen werden durfte (Abb. 39).

Im Alter von sieben Jahren hatten die adligen Knaben ihr Elternhaus zu verlassen und wurden als Pagen an einen fremden Hof geschickt. Dort wurde ihnen beigebracht, wie man mit Pferden und Falken umzugehen hatte, wie man mit dem Schwert, der Lanze und der Axt kämpfte, wie die Pirsch-, Hetz- und Vogeljagd ablief, wie das erlegte Wild fachgerecht ausgeweidet und zerlegt wurde, und welche Regeln man beim Schachspiel beherzigen mußte. Außerdem waren sie im Reiten, Springen, Schwimmen, Bogenschießen, Laufen, Ringen, Klettern und im Steinewerfen zu unterrichten.

Die militärischen und sportlichen Übungen und das Erlernen der höfischen Umgangsformen hatten eindeutig die Priorität im "ritterlichen" Erziehungsprogramm.

Die geistige und musikalische Ausbildung kam bei den adligen Jungen dagegen besonders in Deutschland viel zu kurz. Nur die zur Nachfolge in der Königsherrschaft bestimmten Prinzen wurden literarisch und wissenschaftlich ausgebildet wie z.B. Kaiser Heinrich VI., der Sohn und Nachfolger von Friedrich Barbarossa.

In Frankreich und in England verlangte man vom gebildeten Herrscher schon im 12. Jh., daß er mehrere fremde Sprachen beherrschte.

Nur wenige deutsche Adlige konnten Musikinstrumente wie die Harfe, die Leier oder die Laute spielen.

Während sich der Burgherr oder ein erfahrener Waffenmeister um die militärische und sportliche Ausbildung ihres Schützlings kümmerten, übernahm häufig der Herr Kaplan die Aufgabe, den Knaben religiös zu schulen und ihm die richtigen Anstandsformen beizubringen wie: "liebe Gott aus ganzer Kraft", "gewöhne dich an Tugend", "bemühe dich um gutes Benehmen", "rede nicht bösartig", "sei brav und anständig", "danke dem, der aufrichtig zu dir spricht", "fürchte die Hölle", "folge der Lehre Gottes", "ehre Vater und Mutter" und "schütze die Armen".

Staete und Mâze waren die Zentralbegriffe des ritterlichen Tugendbuches. Staete bedeutete das Festhalten am Guten und Mâze das Gebot, in allen Dingen maßzuhalten und den richtigen Mittelweg zu gehen, also kein Fresser oder Säufer zu werden, nicht ausschweifend oder gewalttätig zu sein, nicht zu lügen, sich nicht geizig und "von schlechtem Lebenswandel" zu zeigen.

Mit 14 Jahren konnten die Pagen bei körperlicher Eignung zum Knappen ernannt werden. Wer sich dagegen in seiner ersten Ausbildungszeit als unsportlich erwiesen hatte, mußte nun die geistliche Laufbahn einschlagen.

Der Knappe hatte jetzt weitere sieben harte Jahre vor sich. Welche Anforderungen er insgesamt erfüllen mußte, um Ritter werden zu können, erfahren wir aus dem "Ritterspiegel", den Johannes Rothe um 1410 geschrieben hatte:
"Zu einem vollkommenen Manne gehört, daß er wohl reiten kann, schnell auf- und absitzen, gut traben, rennen und wenden und daß er mit Verstand etwas von der Erde aufnehmen kann.

Zum zweiten gehört, daß er schwimmen kann und im Wasser tauchen und sich vom Bauch auf den Rücken wenden und krümmen kann.

Zum dritten gehört zu einem vollkommenen Mann, daß er mit Armbrust und Bogen umzugehen weiß. Das mag er bei Fürsten wohl nützen später.

Zum vierten muß er auf Leitern klettern können, das wird ihm wohl nützen im Kriege, auch ist es gut, an Seilen und Stangen klettern zu können.

Zum fünften muß er behende sein und wohl turnieren, streiten und recht und redlich stechen können.

Zum sechsten muß er bei Gefechten und Scharmützeln ringen können, auch soll er weiter springen können als andere und mit der Rechten ebenso gut fechten wie mit der Linken.

Zum siebten muß bei Tisch er sich gut benehmen können, tanzen und hofieren, auch soll er das Bredspiel (Schach) verstehen und alles, was ihn noch zieren mag." (in: Walter Hansen, ebenda, S. 37/38)

Zu den ritterlichen Übungen gehörte auch das Stechen der hölzernen Ritterattrappe, die mit Schild und Keule ausgestattet war. Wenn dem Knappen nicht gelang, sie von seinem herangaloppierenden Pferd aus umzustoßen, drehte sich die Attrappe und die Keule traf ihn mit voller Wucht.

Außerdem mußte der Knappe jede Fleischsorte bei Tisch in der richtigen Weise vorschneiden und Jagdhunde und Falken abrichten können. Er hatte dem Herrn am Abend beim Auskleiden zu helfen, dessen Haare zu kämmen und mußte mit der Pflege und Reparatur der Waffen vertraut sein, um die Rüstung seines Herrn in gutem Zustand halten, zerscheuerte Lederteile ersetzen und Rostflecken wegpolieren zu können. Im blutigen Scharmützel hatte er zudem stets in der Nähe seines Ritters zu bleiben. Schließlich war es seine Pflicht, seinen in Bedrängnis geratenen Herrn aus einem feindlichen Haufen herauszuhauen.

Der Knappe Oswald von Wolkenstein, der als zweiter Sohn des Burgherrn Friedrich von Wolkenstein im Jahre 1377 geboren wurde, war vom 10. - 24. Lebensjahr im Dienste eines vornehmen Ritters, den er als Knappen meist zu Fuß bis in die Türkei und nach Spanien begleiten mußte.

Hatte man diese anstrengenden Knappenjahre überlebt, konnte man im allgemeinen mit 21 Jahren zum Ritter ernannt werden.

Entsprachen die ausgebildeten jungen Ritter sportlich und militärisch den Wünschen des Königs und des Adels, war die Geistlichkeit dagegen über die Diener Gottes oft sehr enttäuscht. So äußerte sich der Hofkaplan vom englischen Königshof, Petrus von Blois († nach 1204), folgendermaßen über die Ritter:
"Der Orden der Ritter besteht heute darin, keine Ordnung zu halten. Denn derjenige, der am meisten seinen Mund mit unflätigen Worten besudelt, der am abscheulichsten flucht, der am wenigsten Gott fürchtet, der die Diener Gottes (die Geistlichen) verächtlich macht, der die Kirche nicht ehrt, der wird heute im Kreis der Ritter als der tüchtigste und berühmteste geachtet ...

Früher verpflichteten sich die Ritter durch das Band des Eides dazu, daß sie für die öffentliche Ordnung eintreten würden, daß sie in der Schlacht nicht fliehen würden und daß sie ihr Leben für das allgemeine Wohl hingeben würden. Auch heute empfangen die Ritter ihre Schwerter vom Altar und sollen geloben, daß sie Söhne der Kirche sind und daß sie das Schwert empfangen haben zur Ehre der Priester, zum Schutz der Armen, zur Bestrafung der Übeltäter und zur Befreiung des Vaterlandes. Aber diese Sache hat sich ins Gegenteil verkehrt. Denn sobald sie mit dem Rittergürtel geschmückt sind, erheben sie sich gegen die Gesalbten des Herrn und wüten im Erbland des Gekreuzigten. Sie plündern und berauben die unbemittelten Diener Christi und, was noch schlimmer ist, sie unterdrücken erbarmungslos die Armen und sättigen am Schmerz der anderen ihre eigenen Gelüste und ihre außerordentlichen Begierden ...

Wenn unsere Ritter zuweilen einen Feldzug unternehmen müssen, werden die Lastpferde nicht mit Waffen, sondern mit Wein beladen, nicht mit Lanzen, sondern mit Käse, nicht mit Schwertern, sondern mit Schläuchen, nicht mit Wurfspeeren, sondern mit Bratspießen. Man meint, daß sie zu einem Gelage ziehen, nicht in den Krieg. Sie tragen herrlich vergoldete Schilde mit sich und sind mehr auf die Beute der Feinde aus als auf den Kampf mit ihnen; ihre Schilde bringen sie sozusagen jungfräulich und unberührt zurück. Auf ihre Sättel und Schilde lassen sie Kriegsszenen und Reiterschlachten malen, damit sie sich im Bild der Phantasie an den Kämpfen erfreuen, die sie in Wirklichkeit nicht zu bestehen oder mitanzusehen wagen." (in: Joachim Bumke, ebenda, 2. Bd., S. 431/432)

Konnte denn zumindest die Androhung mit der Hölle den Ritter wieder auf den rechten Weg führen?

Diese Frage wird in dem Werk "Aucassin et Nicolette", das ein unbekannter Autor um 1200 schrieb, beantwortet.

Die Geschichte handelt von der Liebe zwischen dem Grafensohn Aucassin und dem Sklavenmädchen Nicolette:
"Der Visconte, dem Nicolette gehörte, versuchte Aucassin seine Liebe auszureden: ‚Nehmt doch die Tochter eines Königs oder eines Grafen. Außerdem, was glaubt ihr gewonnen zu haben, wenn ihr sie zu eurer Geliebten gemacht und sie in euer Bett genommen habt? Sehr wenig habt ihr damit gewonnen, denn eure Seele würde dafür auf immer in der Hölle sein, und ihr würdet niemals ins Paradies kommen.‘

Darauf antwortete Aucassin: ‚Was soll ich im Paradies? Mir liegt nichts daran, dorthin zu kommen, sondern nur daran, Nicolette zu haben, meine liebste Freundin, die ich so sehr liebe. Denn ins Paradies kommen nur die, die ich dir hier nenne: die alten Priester und die alten Lahmen und Krüppel, die Tag und Nacht vor den Altären und in den alten Krypten hocken, bekleidet mit abgetragenen Mänteln und alten zerschlissenen Gewändern, nackend und barfuß und ohne Strümpfe, die vor Hunger und Durst sterben, vor Kälte und Krankheiten. Die gehen ins Paradies ein, und mit denen will ich nichts zu schaffen haben. Ich will vielmehr in die Hölle kommen, denn in die Hölle kommen die hübschen Kleriker und die schönen Ritter, die in Turnieren und in prächtigen Kriegen gefallen sind, und die guten Knappen und die freien Herren. Mit denen will ich gehen. Dorthin gehen auch die höfischen Damen, die neben ihren Ehemännern zwei oder drei Liebhaber haben. Dorthin kommt Gold und Silber, Buntwerk und Grauwerk, Spielleute und Sänger und die Könige dieser Welt. Mit denen will ich gehen, wenn ich Nicolette, meine süßeste Freundin, bei mir habe.‘" (in: Joachim Bumke, ebenda, 2. Bd., S. 589/590).


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