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18/07/2016

Fußnoten – Nicht immer ein Gütesiegel

Der Leser von heute wünscht mittlerweile, wie es eigentlich in der Vergangenheit nur bei Seminar- und Promotionsarbeiten ‒ zumindest in der Geschichtswissenschaft ‒ der Fall gewesen ist, dass jeder Satz des Autoren mit einer Fußnote versehen wird. Sei es, dass der Leser damit den Autoren, der vermutlich Jahre benötigt hat, um die wichtigen historischen Quellen für sein Projekt zu finden, beim Zitieren in seiner eigenen Arbeit übergehen kann, oder weil er sich einfach sicherer fühlt, dass der Autor bezüglich seines Werkes sich historischer Quellen bediente und nicht seiner Fantasie freien Lauf ließ.

So gibt es heute eigentlich kaum noch populärwissenschaftliche Werke, die nicht mit mindestens einigen Fußnoten versehen sind. Und doch habe ich vor kurzem eine Ausnahme gekauft: Das Werk der englischen Historikerin Judith Herrin: Byzanz – Die erstaunliche Geschichte eines mittelalterlichen Imperiums, herausgegeben bei Reclam im Jahr 2008. Erstaunlich ist, dass zumindest in ihrem Fall sich keiner ihrer Leser und Leserinnen beschwert, keine Fußnoten in ihrem Buch vorzufinden. Da muss ich wohl die Einzige sein, die sich wünschen würde, die Autorin hätte es getan, denn sie weicht doch bei einigen ihrer Beschreibungen sehr von den historischen Originalquellen ab. Selbstverständlich merkt man das nur, wenn man sich mit der byzantinischen Geschichte bereits intensiv beschäftigt hat.

Andererseits muss die berechtigte Frage gestellt werden, wie viele Leser, ob Laien oder Fachleute, die Fußnoten in den Büchern je überprüft haben. Geben diese sich bei einer Behauptung eines Autoren damit zufrieden, dass er jene mit einer Fußnote versah? Wer von diesen Lesern prüft nach, ob die Quelle, die in der Fußnote genannt wird, in der Tat die Aussage des Autoren unterstützt? Meine Erfahrungen besonders über die letzten 13 Jahre haben gezeigt, dass dies kaum jemand tut. Andererseits hätten wir mit größerem Protest bei Werken von Historikern und Kunsthistorikern rechnen müssen. Die Leser glauben, je mehr Fußnoten in einem Werk zu finden sind, umso gründlicher hat der Autor gearbeitet. Und da liegt eben der große Irrtum, den die Leser begehen.

Nehmen wir als Beispiel folgende Behauptung des Autoren Jasper Bruns in seinem Buch: Great Women of Imperial Rome – Mothers and Wives of the Caesars, Routledge Taylor & Francis Group, London and New York 2007, auf der Seite 27: “We do not know how many children Drusus and Antonia had (the historian Suetonius says “several”), only that their first died in infancy and that three lived to adulthood.” Diese Behauptung versah er mit der Fußnote 26, in der er uns kundtut, dass er diese Information Suetons Werk “Claudius 1.6” entnommen hätte. In Sueton, Claudius 1.6., lesen wir nun Folgendes: „Von Antonia der Jüngeren hatte er [Drusus] zwar mehrere Kinder, aber nur drei überlebten ihn: Germanicus, Livilla und Claudius.“ Wir finden in dieser historischen Quelle allerdings nicht hier und auch nicht anderswo die Erwähnung, dass das erste Kind von Drusus und Antonia der Jüngeren (oder Antonia Minor) bereits als kleines Kind verstarb. Diese Aussage kann auch durch keine andere historische Quelle bestätigt werden, denn sie ist eine reine Erfindung des Autoren.

Jasper Bruns nannte Antonia Minor zudem „Marcia Antonia“, was völliger Unsinn ist und nur zeigt, dass sich der Autor nie mit der Namensgebung der römischen Mädchen bzw. Frauen beschäftigt hat. Da er es jedoch jetzt in seinem Buch behauptet hat, wird dieser Unsinn wohl schon bald auch auf Wikipedia erscheinen, denn dort darf man alles schreiben, wenn man es nur mit einer Fußnote versehen kann, die nun das Buch von Jaspers Bruns ermöglicht. Also, wenn Sie in Zukunft Bücher oder Artikel auf Wikipedia lesen, denken Sie daran: Eine Fußnote bedeutet noch lange nicht, dass die Aussage eines Autoren wirklich durch historische Quellen unterstützt wird. Der „listige“ Autor geht nur davon aus, dass Sie die Fußnote allein schon beeindruckt und Sie viel zu faul sind, jene zu überprüfen.