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Alltagsgeschichte des Mittelalters

VIII. 3. Das Fehdewesen

Im Frühmittelalter hatten die Familienangehörigen und Verwandten die Pflicht, den Totschlag oder die Beleidigung eines Angehörigen ihres Geschlechtes oder ihrer Sippe mit Waffen zu rächen. Der eventuelle Totschläger oder dessen Familienangehörigen und Verwandten konnten den nun drohenden Fehdekrieg verhindern, indem sie einen Teil ihres Viehbestandes oder ihrer Waffen der Sippe des Getöteten anboten oder Geldbuße leisteten. In der Lex Frisionum, die etwa um 802 n. Chr. aufgezeichnet wurde, war die Höhe dieses Buß- oder Wergeldes von der begangenen Tat abhängig:

  1. "Wenn jemand einen anderen aus Zorn an den Kopf schlägt, daß er ihn taub macht, büße er 24 Schillinge.
  2. Wenn jener stumm wird, aber dennoch hören kann, büße er 18 Schillinge.
  3. Wenn jemand einen anderen so schlägt, was sie Beulenschlag nennen, büße er einen halben Schilling.
  4. Wenn er aber Blut vergießt, büße er einen Schilling.
  5. Wenn er ihn schlägt, daß die Hirnschale erscheint, büße er mit 2 Schillingen.
  6. Wenn der Knochen durchgeschlagen wird, büße er mit 12 Schillingen.
  7. Wenn das Schwert die Haut, von der das Hirn umschlossen ist, berührt, büße er 18 Schillinge.
  8. Wenn diese Haut zerrissen wird, so daß das Gehirn heraustreten kann, büße er 24 Schillinge.
  9. Wenn jemand einem anderen ein Ohr abschlägt, büße er 12 Schillinge.
  10. Wenn er die Nase abschlägt, büße er 24 Schillinge.
  11. Wenn jemand die oberste Stirnfalte mit einem Hieb quer durchschlägt, büße er mit 2 Schillingen.
  12. Wenn er die darunter durchschlägt, büße er mit 4 Schillingen.
  13. Wenn die dritte, die zunächst den Augen liegt, büße er mit 2 Schillingen.
  14. Wenn er eine Augenbraue durchschlägt, büße er mit 2 Schillingen.
  15. Wenn er ein Augenlid, ein oberes oder unteres verwundet, büße er mit 2 Schillingen ..."

(in: Justiz in alter Zeit, ebenda, S. 134)

Für einen Schilling konnte man sich zu Beginn des 9. Jhs. ein einjähriges Rind kaufen!

Aber oft waren die Verwandten des Ermordeten zu stolz, um sich ihr Racherecht mit Geld abkaufen zu lassen. Und so konnte ein Totschlag zu einer langjährigen Fehde zwischen zwei Familien führen, die vielen unschuldigen Menschen das Leben kostete.

Damit die Fehde nicht zum Mord und damit straffähig wurde, hatten die Betroffenen folgende Regeln zu beachten:

  1. Die Fehde, egal ob unter Rittern oder zwischen Rittern und Städten, mußte durch einen förmlichen Fehdebrief angesagt werden.
  2. Die Tötung Unschuldiger war verboten.
  3. Das Niederbrennen von Häusern und das Verwüsten von Land war jedoch erlaubt.
  4. Während der Fehde mußte der Frieden in der Kirche, im Hause, beim Gang zur Kirche, bei der Rückkehr von der Kirche, beim Gang zum Gerichtstermin und bei der Rückkehr vom Gerichtstermin beachtet werden.

Die Hauptleidtragenden dieser kriegerischen Auseinandersetzungen waren die Bauern und ihre Familien. Ihnen verwüstete man nicht nur die Felder, sondern raubte und tötete ihr Vieh, zündete ihre Scheunen, Ställe und Häuser an und legte auch Hand an sie und ihre Familienangehörigen. Die kämpfenden Parteien gaben z.T. erst dann auf, wenn sie sich bis zum letzten Mann niedergemetzelt hatten.

Die Könige verloren durch das Fehdewesen nicht nur ihre Kämpfer, sondern mußten mit ansehen, wie ganze Landstriche zerstört wurden. So ist verständlich, daß schon die Merowinger die Fehde verbieten lassen wollten. König Childebert II. († 596) erließ im Jahre 596 ein königliches Dekret, in dem die Tötung im Rahmen der Fehde untersagt wurde. Auch in westgotischen, burgundischen und bayrischen Volksrechten wurde ein völliges Fehdeverbot befohlen. Aber die Verbote brachten nichts!

Erst im 11. Jh. versuchten Kirche und König nun gemeinsam gegen die Fehden vorzugehen. Die Rachehandlungen wurden generell vom Freitag bis Sonntag, an allen hohen Festen, in der Fasten- und in der Adventszeit untersagt. Wer dagegen handelte, mußte mit der Exkommunikation, der Verbannung und verschiedenen Züchtigungsstrafen rechnen. Ein totales Verbot konnte aber erst im Jahre 1495 ausgesprochen werden. Die Totschläger hatten sich von nun an auf folgende Art und Weise beim Getöteten, seinen Angehörigen und Verwandten zu entschuldigen:
"In der Kirche oder am Friedhof mußte der Täter öffentlich, manchmal mit brennenden Kerzen in der Hand oder im Büßerhemd, oft verbunden mit einem demütigen Umzug, niederknien und den Toten um Verzeihung bitten. Daran schloß sich die förmliche Verzeihung um Gottes willen und der Sühneeid (Urfehde), der mit Friedenskuß und Trinkgelage gefestigt wurde. Neben einer Geldleistung mußte der Täter häufig Seelenmessen stiften, ein Stein- oder Holzkreuz als ‚Sühnekreuz‘ errichten, eine Wallfahrt zu Ehren Gottes und des Erschlagenen unternehmen und ähnliches." (in: Justiz in alter Zeit, ebenda, S. 143)


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