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Alltagsgeschichte des Mittelalters

IV. 1.5. Unterschiedliche Methoden der Speisezubereitung

Kochen im Mittelalter war eine Kunst für sich. Übertünchten die Gewürze, das Essig und der Honig schon den Eigengeschmack der Speisen, so wurden Fleisch- und Fischstückchen im Spätmittelalter zusätzlich noch gern in Gelee oder Gallerte serviert. Als Geliermittel verwendete man einen Absud aus Kalbs- oder Schweinsfüßen, aus Fisch oder aus der Hausenblase.

Zudem wurden die Speisen bei besonderen Anlässen noch gefärbt. Die grüne Farbe wurde aus Petersiliensaft, die blaue Farbe aus den zerstoßenen Blüten der Akelei, der Lilie, der Kornblume und dem Veilchen, die gelbe Farbe aus Safran, die rote Farbe aus Safran oder dem Saft der roten Beete, die schwarze und die braune Farbe aus verbrannten und zerriebenen Lebkuchenstücken gewonnen. Und mit dieser Farbenvielfalt wurden dann den staunenden Gästen die vorzüglichen Gerichte serviert: grün gefärbtes Spanferkel, karmesinrote Hühnerpastetensoße, blaues Morchelmus, schwarzes Weintrauben-, Birnen- oder Apfelmus. Gefüllte Geflügel wurden eventuell mit Eigelb und Safran vergoldet, wenn das Eßobjekt nicht von vornherein mit Blattgold verziert wurde. Dazu bestrich man den Braten mit Honigwasser und drückte das Gold mit Baumwolle an. Ähnlich ging man beim Versilbern der Speise vor.

Reste ehemaliger Fleisch-, Geflügel- und Fischgerichte konnten durch Zerkleinern und Zerstampfen und anschließendes Passieren durch ein Tuch zu einer Vogelform modelliert erneut auf dem Tisch landen. Der Phantasie waren keine Schranken gesetzt.

Aber, was z.T. in mittelalterlichen Kochtöpfen landete, würde heute alles andere als ein bewundernswertes Staunen hervorrufen. So hielt man folgendes z.B. für eine Delikatesse: die Augen von Ochsen; ungeborene, gebratene Hirschkälber und Hasen; die Hoden von Bock, Wildeber oder Hirsch; Sülzen aus abgebrühter Rehhaut (Hosennestel genannt); in Essig und Wasser gesottenes Hirschgeweih und Suppen aus Gräten, Schuppen, Köpfen und Schwänzen entfleischter Karpfen.

Hans Wiswe war so liebenswürdig, in seinem Buch ein "Hodenrezept" zum Ausprobieren anzubieten:
"Man macht Weizenteig ab mit Eiern, Zucker, Kaneel, Muskatblumen, Pfeffer und ein wenig Butter, arbeitet ihn wohl und reibt ihn mit einem Treibholze aus, beschmieret die ‚Kastlingshüte‘ (den Hoden) mit Butter, macht sie heiß und zieht den Teig darüber, schneidet den Teig ab, der unten anhängt, setzt sie in den Ofen und wendet sie oft um. Wenn sie gar sind, bestreicht man sie mit Rosenwasser und Zucker, Honig oder Sirup, bestreut sie mit rotem oder weißem Zucker oder mit Safran und Zucker, läßt sie von selber trocken werden. Man gibt sie wohl bei Konfekt zu Zucker, Rosmarien oder anderen Blumen etc." (in: Hans Wiswe, ebenda, S. 136/137)

Und wie aus dem obigen Rezept noch zusätzlich zu erfahren ist, wurden die Speisen sogar mit Rosenwasser parfümiert. Bei einem Gastmahl in Neapel soll anläßlich der Begegnung des Beys von Tunis mit Kaiser Karl V. († 1558) beim Zerlegen eines Pfaues und zweier Fasane solcher Schwall von Wohlgerüchen aus deren gebratenen Leibern entströmt sein, daß nicht nur alle Räume im Palast, sondern sogar die benachbarten Häuser mit diesem Duft erfüllt wurden.

Zudem war der Gastgeber bemüht, seine Gäste auch beim Essen mit Überraschungen zu verwöhnen. So wurde z.B. Spanferkelbraten, der mit lebenden Aalen gestopft war, oder eine Pastete, mit lebenden kleinen Singvögeln gefüllt, angeboten. Wenn die Aale beim Anschneiden des Bratens aus dessen Inneren quollen und sich über den Tisch ergossen oder die kleinen Vögel beim Öffnen des Teiggefängnisses im Saal herumflatterten, hatte der Gastgeber bestimmt für Aufregung gesorgt. Im 14. und 15. Jh. soll es sogar üblich gewesen sein, Zwerge in Pasteten zu stecken. Einige adlige Herren ließen dabei gleich ein ganzes Orchester mit 28 Musikanten in solchen Gerichten unterbringen.

Aber es gab auch Speisezubereitungen, über die wir nicht mehr schmunzeln können. Bei Hans Wiswe lernen wir das makabre Rezept "Lebender Gänsebraten" kennen. Es lautet folgendermaßen:
"Eine lebendige Ente oder Gans oder ein anderes zählebiges Tier wird außer an Kopf und Hals gerupft. Dann wird es rings mit einem Feuer umgeben. Dies darf nicht zu nahe sein, damit das Tier nicht vom Rauch erstickt, aber auch nicht zu entfernt, damit es nicht entweicht. Innerhalb des Feuers werden Gefäße aufgestellt, die mit Salz und Honig vermischtes Wasser enthalten. Auch sind dort Stäbchen mit gesottenen Apfelstücken anzubringen. Das Tier wird mit Wasser bedeckt und gesalzen zur Hebung des Wohlgeschmacks und damit es leichter gar wird. Das Feuer ist vorsichtig anzufachen. Es verschließt dem Tier, das zu fliehen versucht, den Ausweg. Durch Trinken und durch Kühlung des Herzens wird das Opfer am Leben gehalten. Die Zusätze zu dem Trinkwasser wirken abführend und führen so die Entleerung der Eingeweide herbei. Sobald es siedet, kochen die Eingeweide gar. Mit einem Schwamm müssen ständig Kopf und Herz gekühlt werden. Sobald das Tier zu fallen und zu zappeln beginnt, nimmt man es vom Feuer und bringt es auf die Tafel. Es schreit immerzu, wenn die einzelnen Teile herausgelöst werden, ‚so daß es scheint, daß es fast früher verzehrt werde, als es sterbe.‘" (in: Hans Wiswe, ebenda, S. 138)

Hoffen wir, daß dieses Rezept nur von dem sadistisch, psychisch-schwerkranken Rezepterfinder ausprobiert wurde.

Im Mittelalter wurde nicht nur auf die Raffinesse bei der Zubereitung der Speisen geachtet, sondern auch auf die Menge. Je reicher man war oder erscheinen wollte, um so mehr konnte und mußte aufgetischt werden. Bei der Einweihung der Stadtkirche von Weißenfels im Jahre 1303 gab es zu Ehren des Gastes, Bischof Benno von Zeitz, folgendes relativ einfache Gastmahl aus drei Gängen:

  1. "Eiersuppe mit Safran, Pfefferkörnern und Honig, Hirse, Gemüse, Schaffleisch mit Zwiebeln, gebratenes Huhn mit Zwetschgen;
  2. Stockfisch mit Öl und Rosinen, Bleie in Öl gebacken, gesottener Aal mit Pfeffer, gerösteter Bückling mit Senf;
  3. sauer gesottene Speisefische, ein gebacken Parmen (wahrscheinlich eine Barbe), kleine Vögel in Schmalz gebacken mit Rettich, Schweinskeule mit Gurken."
    (in: Günther Schildlausky, ebenda, S. 48)

Und bei solchen festlichen Anlässen aß man viel, nach dem Motto: "dem Freund zum Gefallen, dem Feind zum Ärger"! So waren bei größeren Festlichkeiten drei Gänge mit 50 verschiedenen Speisen keine Ausnahme.

Schließlich sollte noch zum Abschluß der Wochenbedarf der königlichen Küche in Paris im 14. Jh. erwähnt werden: 496 Schafe, 70 Stück Großvieh, 70 Kälber, 63 Schweine, 17 Pökelschweine, 1 521 Ziegen, 14 900 Hühner, 12 390 Tauben und 15 111 Junggänse.


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