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Alltagsgeschichte des Mittelalters

II. 1. Die Mode im Frühmittelalter

Bundschuhe
Abb. 3: Zwei Formen von Bundschuhen

Bis zu Beginn des Frühmittelalters, also um 500 n. Chr., trugen die germanischen Männer – auch die höher gestellten – knielange Hosen, die man wie die übrigen Kleidungsstücke aus Wollstoffen, Leinen oder Fellen in den Farben Blau, Rot, Lila oder Erdfarben anfertigte, hemdartig geschnittene, ärmellose Kittel, die an den Seiten zuweilen nur mit Bändern geschlossen wurden, und rechteckige Mäntel, die man auf der rechten Schulter mit einer Fibel (einer Art Brosche) zusammenhielt. Um das Rutschen der Hosen zu verhindern, zog man entweder eine Wollschnur oder einen Ledergürtel durch die oben am Kleidungsstück angebrachten Schlaufen. Die nackten Unterschenkel wurden mit Wadenbinden aus Stoff oder Fell umwickelt und die Füße mit Bundschuhen (Abb. 3) versehen.

Die Kleidung der Germaninnen, auch der besser gestellten, bestand bis zu dieser Zeit aus einem ärmellosen Hemdrock aus Leinen, den man auf beiden Seiten der Schultern mittels Fibeln zusammenhielt, und aus einem großen Umschlagtuch, das auch den Kopf schützend umgeben konnte. Um ihre Hüften befand sich zudem der obligatorische Gürtel mit Schnallenverschluß, an dem oft noch eine kleine Tasche befestigt wurde.

Über die Grundformen, den Schnitt und die Materialien der germanischen Kleidung sind wir durch die germanischen Moorleichen relativ gut informiert. Und im Moor wurde nicht nur das Kleidungsmaterial konserviert, sondern auch das Haar. So wissen wir, daß die Germanen ihre Haare mit Vorliebe in ein leuchtendes Rot färbten. Durch ihre speziellen Frisuren ließen sich die unterschiedlichen Stämme der Germanen zudem relativ leicht unterscheiden. Die Westgermanen banden z.B. ihre Haare auf der rechten Seite des Kopfes zu einem Knoten zusammen, aus dem die unteren Haarspitzen entweder frei heraushingen oder mittels Eiweiß zu hornähnlichen Gebilden geformt wurden. Die Sachsen dagegen bevorzugten den kurzen Haarschnitt, obwohl für die anderen germanischen Stämme gerade das kurze Haar als Zeichen von Unfreiheit galt. Die Barttracht der Germanen war jedoch keiner Stammesregel unterworfen und wechselte häufig. Nur der Schnurrbart war selten anzutreffen.

Während die unverheirateten Germaninnen ihr Haar offen tragen und mit einem Metallreifen schmücken durften, hatten die verheirateten Frauen es mit Kämmen und Nadeln hochzustecken. Die Fränkinnen und Alemanninnen flochten sich noch zusätzlich Bänder in die Haare.

Die sozialen Unterschiede in der germanischen Gesellschaftsordnung zeigten sich im Gegensatz zu späteren Zeiten nicht so sehr in der Kleidung als vielmehr im Wert des angelegten Schmuckes. Und Armringe, Ketten, Finger- und Ohrringe waren bei den Germanen - gleich welchen Geschlechts - immer begehrt.

Um 500 n. Chr., als die Merowinger die Könige des Frankenreiches zu stellen begannen, änderte sich die germanische Kleidung besonders durch den oströmischen Einfluß. So wurde der germanische Kittel zum langen, weiten Rock, dessen enganliegende Ärmel schließlich bis zum Handgelenk reichten. Zu seiner Anfertigung verwendete man zwar noch Wolle oder Leinenstoff, aber die höchsten Adligen und die Könige bevorzugten schon die teuren Seidenstoffe, die sie entweder von den oströmischen Kaisern als Geschenke erhielten oder in ihren Kriegszügen erbeuteten. Nur auf den germanischen Gürtel wurde auch bei diesem neuen langen Gewand nicht verzichtet.

Die merowingischen Königinnen taten es ihren Gatten gleich. Sie trugen Purpurgewänder und reichlich viel Schmuck. Dabei war Purpur im Mittelalter nicht wie bei uns heute die Bezeichnung für eine Farbe, sondern für ein kostbares Seidengewebe, das in allen möglichen Farben zu erstehen war.

Königin Arnegundis, die vierte Frau des merowingischen Königs Chlothar I. († 561) und Mutter des merowingischen Königs Chilperich I. († 584), wurde um 570 in St. Denis mit den für Merowingerköniginnen üblichen Gewändern begraben. Sie trug ein Hemd aus feinem Leinen und ein Unterkleid aus violetter Seide. Beides reichte nicht ganz bis zu ihren Knien. Ihre Beine waren mit Leinenstrümpfen bedeckt, die von kreuzweise um die Waden gelegte Riemen gehalten wurden. Über dem Unterkleid befand sich noch ein langes Oberkleid aus rotbrauner Seide, das mit Goldfäden bestickt und mit orientalisch-byzantinischen Motiven geschmückt war. Es reichte bis zu ihren Füßen und war vorne in seiner ganzen Länge geöffnet. Um die Hüfte lag ein Ledergürtel, der mit zwei Reihen von Dreiecken und mit mehreren vergoldeten Lederstreifen versehen war. Ihre Schuhe aus dünnem Leder, die mit silbervergoldeten Schnallen verziert waren, wurden durch kreuzweise gelegte Riemen gehalten. Ihren Kopf bedeckte ein Schleier aus Satin, der bis zu den Hüften herabfiel. Außerdem befanden sich in ihrem Grab noch zwei Körbchenohrringe, und ein goldener Siegelring mit ihrem Namen schmückte ihren linken Daumen.

Das Königsgeschlecht der Karolinger, das im 8. Jh. das Königsgeschlecht der Merowinger ablöste, und seine höchsten adligen und geistlichen Lehnsmänner benutzten schließlich die kostbaren Kleidungsstücke eindeutig als Statussymbol. Nur Kaiser Karl der Große († 814) vertrat noch immer die alte germanische Auffassung, daß die Kleidung in erster Linie zum Schutz gegen Naturgewalten dienen sollte. Er gab sich deshalb in der Regel mit einem Schaffell zufrieden und legte nur an den Feiertagen einen Fischotter- oder Zobelpelzrock an. Seinen höchsten Lehnsleuten war er jedoch in dieser Beziehung kein Vorbild, denn diese bevorzugten die teuren Marder- und Hermelinfelle oder kleideten sich mit den Häuten phönizischer Vögel oder von Pfauen, die mit Seide eingefaßt waren. Aber Karl der Große fand selbst innerhalb seiner Familie keinen, der ihm in seiner Bescheidenheit und Sparsamkeit gleichkommen wollte. So schilderte Angilbert, ein Kaplan des Kaisers, in einem Gedicht einen kaiserlichen Jagdzug, an dem sowohl Karls Frau als auch seine Töchter teilgenommen hatten, die allesamt mit Goldschmuck überladen waren. Ihre Mäntel und Schleier waren mit Goldfäden durchwirkt, die Haare mit Goldschnüren durchflochten. Goldene Kronen und Diademe schmückten ihre Häupter, und am Hals hingen Ketten aus Smaragd, Topas und anderen funkelnden Steinen. Jedoch nicht nur Karls "Frauen" liebten den Luxus, auch sein Sohn Ludwig der Fromme († 840) war, was seine Kleidung betraf, alles andere als bescheiden.

Die adligen Herren trugen in der Karolingerzeit normalerweise einen Rock, der unseren heutigen Herrenhemden gleicht und nach byzantinischem Vorbild in einem Saum endete. Er reichte bis zu den Knien und wies enge Ärmel auf. Zur Grundausstattung gehörten zudem noch die Hose, die Beinbinden, die um die Unterschenkel gewickelt wurden, und der Mantel, der auf der rechten Schulter mit einer Spange geschlossenen werden konnte. Die Füße verschwanden wie bisher in Bundschuhen. Ein leinenes Hemd und eine leinene Hose als "Unterwäsche", wie sie Karl der Große besaß, konnten sich nur die Vornehmen leisten.

fränkische Tracht
Abb. 4: Zur Zeit Karls des Kahlen († 877) trugen die fränkischen Adligen folgende Kleidungsstücke: einen Rock, der bis zu den Knien reichte und enge Ärmel aufwies, eine Hose, Beinbinden, die um die Unterschenkel gewickelt wurden, Bundschuhe und einen Mantel, der auf der rechten Schulter mit einer Spange geschlossen werden konnte. Dazu gehörte die kurze Ponyfrisur und der lang herabhängende Schnurrbart.

Die Haare wurden in der Karolingerzeit kurz geschnitten. Selbst die Könige trugen die runde, mit einem Pony versehende Frisur der Römer und den typisch fränkischen, lang herabhängenden Schnurrbart (Abb. 4).

Die merowingischen Könige hatten dagegen das lange Haar der Germanen bevorzugt, das in der Mitte gescheitelt und an den Schultern gelockt war.

Die adligen Frauen kleideten sich wie die Römerinnen des 5. Jhs. Sie trugen ein langes, weites Unterkleid und darüber zunächst ein etwas kürzeres, später ein ebenfalls langes, weites Oberkleid mit engen Ärmeln. Auch hier war der byzantinische Hof in der Mode tonangebend.

Die Schicht der "Diener", die Bauern also, hatten sich dagegen auch weiterhin mit dem germanischen Kittel, der Hose und den Bundschuhen zufriedenzugeben. Viele Unfreie konnten sich im Gegenteil noch nicht einmal eine Hose und ein Paar Schuhe leisten.

Trotzdem soll Karl der Große angeblich nach seiner Königskrönung im Jahre 768 ein Gesetz erlassen haben, in dem er den Bauern das Tragen vornehmer Kleidung verbot: "Da traf er (Karl) sogleich Bestimmungen über die Kleidung der Bauern. Die wurden vom Papst bestätigt. Jetzt will ich euch sagen, was der Bauer nach dem Gesetz tragen durfte: nur Schwarz oder Grau, nichts anderes erlaubte der Kaiser. Keilstücke nur an den Seiten, das ist seinem Stand gemäß, und Schuhe aus Rindsleder, sonst nichts. 7 Ellen Stoff auf Hemd und Hose, aus grobem Tuch. Wenn er Stoffkeile hinten und vorne trägt, hat er gegen seinen Stand verstoßen." (in: Joachim Bumke: Höfische Kultur – Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Bd. 1, München 19874, S. 172)

Diese "Keilstücke" an den Seiten sollten dem Bauern bei seiner Arbeit mehr Bewegungsfreiheit verschaffen. Der Adel dagegen versah seine Kleidung seit dem 11. Jh. vorne und hinten mit Stoffkeilen, um besonders weite Röcke zu erhalten, die als "schick und vornehm" galten. In dieser Zeit scheint obiger Erlaß auch zuerst herausgegeben worden zu sein. Damit die Durchführung dieses Gesetzes erfolgversprechend verlief, machte man Karl den Großen rückwirkend einfach zum Urheber dieses Erlasses. Die damaligen Schreiber schienen vergessen zu haben, daß gerade dieser Karl die einfachen Kleidungsstücke bevorzugte und diesem "Modeschnickschnack" seiner adligen Herren sehr kritisch gegenübergestanden hätte.


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